Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1926


LAUENBURGISCHE HEIMAT Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg - E V
Schriftleitung: Landesarchivar Dr. Hans Ferd. Gerhard in Ratzeburg
Lauenburgischer Heimatverlag
(H. H. C. Freystatzky's Buchdruckerei) in Ratzeburg
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Erscheint vierteljährlich und wird den Mitgliedern des Heimatbundes kostenlos zugesandt.
Vereinsbeitrag jährlich 3.00 RM. Beitrittserklärungen sind an den
Vorsitzenden Dr. H. F. GERHARD in Ratzeburg zu richten

Heft 4  Ratzeburg, Oktober 1926  2. Jahrgang

 

Harry Christlieb.
EIN LAUENBURGISCHER KÜNSTLER

Von HANS BUNGE-Mölln.




Mutterglück.
Gazellengruppe von Harry Christlieb.
(Mit Bildnis des Künstlers.)
 

Vor mir liegt das Album eines bedeutenden Kollegen und Freundes, das die Abbildungen seiner wichtigsten Schöpfungen enthält. Es ist mir eine große Freude, daß ich die Erlaubnis erhielt, einiges daraus den Freunden unsrer Lauenburgischen Heimat mitzuteilen. Harry Christlieb, der als Bildhauer, besonders aber als Tierplastiker und Haupterbe Aug. Gauls heute in ganz Deutschland und weit über seine Grenzen hinaus bekannt ist, verlebte seine Jugend in dem see- und waldumkränzt. [sic!] Städtchen Mölln. Und dort verwurzelte sich in dem Herzen des jungen Land- und Gastwirtssohns die innige Liebe zu seiner Lauenburgischen Heimat, die den etwa

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vierzigjährigen Künstler noch alljährlich in seine Vaterstadt zieht. Christlieb wohnt in der "Welt des ewigen Schweigens" und mußte deshalb früh sein Vaterhaus verlassen, um Zögling der Provinzial-Sprachheilanstalt in Schleswig zu werden. Dort führte ihn ein gütiges Geschenk einem besonders tüchtigen Lehrer zu, der ihm nicht nur ein gutes Wissen, sondern auch - die Sprache gab. Dann, nach Beendigung seiner Schulzeit, wurde Christlieb zunächst Stukkateur. Um sich in diesem Fache fortzubilden, besuchte er die Kunstgewerbeschule in Hamburg. Bald aber erkannte man sein starkes Talent. Und so erhielt er die Möglichkeit, bei Professor Kurz in München zu studieren, sich auf ausgedehnten Reisen, die ihn besonders nach Italien führten, neue Anregungen zu suchen und sich schließlich ganz der Bildhauerei zu widmen. Jetzt steht der Künstler auf der Höhe seines Schaffens. Auf allen größeren Ausstellungen finden wir seine Werke. Hohe Behörden und Museen haben Arbeiten von ihm erworben.
 



Mona Lisa.
Bildnis der Schwester des Künstlers.
Von Harry Christlieb.

Harry Christlieb ist besonders als Tierplastiker bekannt geworden, aber es darf nicht vergessen werden, daß er auch den menschlichen Körper in ausgezeichneten Arbeiten nachgebildet hat. Eine der schönsten ist wohl das Bildnis seiner Schwester, die der Künstler als Mona Lisa wiedergab. Das Werk wurde bereits im Jahre 1916 bei einer Veranstaltung des Vaterländischen Frauenvereins in Mölln gezeigt.

Ueberaus anziehend ist dann eine Statue aus Goldbronze, eine schöne knospende Mädchengestalt, der der Künstler den Namen "Eva" gegeben hat. Das Werk wurde auf einer Ausstellung gehörloser Künstler ausgezeichnet, die als bisher einzige ihrer Art von der Landes-Taubstummenanstalt in Schleswig veranstaltet wurde. Die Provinz erwarb die schöne Arbeit für das Thaulow-Museum in Kiel.

Neben diesen Werken entstand eine lange Reihe lebensvoller, charakteristischer Porträtbüsten, ein allerliebster Kinderkopf, zierliche Porzellanarbeiten und vieles, vieles andere - kurz eine Fülle von

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Eva. Von Harry Christlieb.
Angekauft von der Provinz
Schleswig-Holstein.

Werken allerverschiedenster Prägung, die die fabelhafte Vielseitigkeit des Künstlers zeigen. Am liebsten aber holte sich Christlieb, wie ich schon andeutete, seine Motive aus der Welt der Tiere. So ist er vor allem in den zoologischen Gärten heimisch. Den armen Gefangenen dort ist er ein verstehender Freund, der merkwürdig schnell das Vertrauen selbst der blutgierigsten Raubtiere gewinnt. Dort - vor den vergitterten
Zwingern - steht der Künstler und beobachtet und zeichnet und modelliert, und nicht selten muß seine Linke ein Tierchen kraulen, während seine Rechte den Ton knetet und formt. So hat er einmal mit der einen Hand die Halsmuskeln eines zarten Füllens modelliert, während die andre dem jungen Tier zärtlich die Milchflasche reichte.

Wie innig sich der Künstler in die Tierseele versenkt, zeigt seine Gazellengruppe "Mutterliebe" und zeigen seien vielen immer wechselnden Affengruppen. Gerade diesen unruhigen, quirligen, menschenähnlichen Tieren hat Christlieb sein besonderes Studium zugewandt. Da sehen wir, monumental erfaßt, den kraftvollen jungen Gorilla, wie er lässig auf seiner Hinterhand sitzt und mit der Rechten den wuchtigen Körper stützt. Da finden wir einen nachdenklichen Familienvater, der brütend neben seiner Gattin hockt, während diese ängstlich ihr zartes Junges umsorgt. Und weiter sehen wir da Spieler und Zänker, Philosophen und Träumer - alle aber von vollendeter Naturwahrheit und von überraschender künstlerischer Prägung.

Gerade diese lebensvollen Affengruppen haben Christlieb bei Kritik und Publikum viel Anerkennung gebracht. Eine von ihnen wurde erst kürzlich vom Preußischen Staatsministerium angekauft. Eine andere wird zur Zeit auf einer Dresdener Ausstellung von den Besuchern viel bewundert.

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Putten. Porzellanfiguren
von Harry Christlieb.





Gorilla.
Von Harry Christlieb.
 

Vielleicht ergibt sich einmal die Möglichkeit, daß ein größeres Werk Christliebs auch in der Lauenburgischen Heimat des Künstlers Aufstellung findet. Oder sollte sich für diesen außergewöhnlich talentvollen Künstler bei uns kein Mäzen finden? Sollte man hier bei öffentlichen Aufträgen ganz an ihm vorbeigehen? Unser Land könnte - so meine ich - die aus unserm Heimatboden entsprossene Kunst nicht schöner ehren als durch den Ankauf eines Werkes von Harry Christlieb.