Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1927


Jagd auf die "langen Kerls" im Lauenburgischen.

[N. N.]
 

König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der Vater des großen Friedrich, hatte bekanntlich eine Leidenschaft für Grenadiere von schlankem Wuchs und ungewöhnlicher Größe. Und diese Leidenschaft verführte ihn dazu, seine Werbeoffiziere nicht nur in alle Teile der eigenen Monarchie, sondern auch in alle übrigen Länder Europas zu entsenden und dort mit sanfter Gewalt alles aufgreifen zu lassen, was Hosen trug und gut gewachsen, arglos und mehr als sechs Fuß lang war. Ruhige, verheiratete Männer wurden ihren Familien entrissen und nach Potsdam geschleppt. Der König aber glaubte aus innerster Überzeugung, ein Recht auf diesen Menschenraub zu haben, da die übrigen Fürsten diese prächtigen Gestalten nicht nach Gebühr zu schätzen wüßten.

Unter diesen Werbungen hatten naturgemäß besonders die Nachbarstaaten Preußens zu leiden. Und so war es kein Wunder, daß aus diesen Gewaltsamkeiten unzählige Streitigkeiten entstanden. Aber alle Vorstellungen und Beschwerden beim Berliner Hofe halfen nichts. Der König bekam es nicht über sich, seiner Leidenschaft zu entsagen.

Der schärfste Konflikt aber brach zwischen Preußen und dem Kurfürstentum Hannover aus, dem damals bekanntlich auch unser Herzogtum Lauenburg durch Personalunion angegliedert war. Obgleich König Friedrich Wilhelm und Kurfürst Georg blutsverwandt, gemeinsam erzogen und verschwägert waren, hatten sie doch eine derartige Abneigung gegeneinander gefaßt, daß sie vor gegenseitigen schweren Beleidigungen nicht zurückscheuten. Als nun Grenzstreitigkeiten und die oben geschilderten Übergriffe preußischer Werber hinzukamen, da steigerte sich die Gereiztheit auf beiden Seiten bis zu Siedehitze, und beide Fürsten bereiteten sich auf einen Waffengang vor. Kurfürst Georg, der zugleich König von Großbritannien war, eilte 1729 von London nach Hannover, um persönlich die Kriegsrüstungen zu überwachen. Friedrich Wilhelm aber sammelte seine Streitkräfte bei Magdeburg. So wäre es auf ein Haar schon damals, wie 27 Jahre später, zu einem europäischen Kriege gekommen, wenn nicht in letzter Stunde der Kaiser und andere deutsche Fürsten vermittelt und die meisten schwebenden Streitpunkte durch einen besonderen Ausschuß aus der Welt geschafft hatten.

Trotzdem hatte aber der Unfug der preußischen Werbungen noch zwei  bemerkenswerte Nachspiele. Die Erbitterung der beiden Schwäger war so groß, daß eine Herausforderung zum Zweikampf erfolgte, und dieser wäre wirklich und wahrhaftig im Lustschloß zu Salzdahlum bei Wolfenbüttel ausgefochten worden, wenn es die Vorstellungen des Herzogs August Wilhelm von Braunschweig und des preußischen Gesandten nicht noch zu guterletzt erreicht hätten, der spottlustigen Welt dies seltsame Schauspiel zu ersparen.

Das andere Nachspiel aber war nicht mehr zu verhindern. Die durch die preußischen Übergriffe geschädigten Staaten - Kursachsen,

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Hessen-Kassel, Sachsen-Gotha, Köln, Münster und selbst die Generalstaaten der vereinigten Niederlande - taten sich unter der Führung Hannovers zusammen und richteten äußerst scharfe Erlasse gegen die preußischen Werber und ihre Gewalttätigkeiten. So heißt es in dem Edikt der Hannoverschen Regierung vom 14. Dezember 1731, das natürlich auch für Lauenburg Geltung hatte:

Wir Georg der Andere, etc. Fügen hiermit zu wissen: Nachdem Wir höchst mißfällig vernommen, daß Unsere getreue Untertanen, zumahl an denen Grentzen, von auswärtigen Werbern, die sich insgemein für Preußische ausgeben, sehr beunruhiget und nicht allein mit List über die Grenze gelocket und alsdann zu Annehmung fremder Krieges-Dienste gegezwungen [sic!], sondern auch, in Unserem Territorio in ihren Häusern durch gewaltsame Einfälle oder gar mit gewaffneter Hand überfallen, weggeschleppet und enrolliret, dergleichen grobe Tätlichkeiten auch wol gegen Personen, die in Unseren wirklichen Krieges-Diensten stehen, gantz ungescheuet ausgeübet werden ... Als setzen und ordnen Wir, und wollen ernstlich, das ... selbige Werbere, wann sie sich in Unsern Landen betreten lassen, ... ohne Ansehen der Person so fort arrestiret und, da sie sich in starker Anzahl einfinden sollen, durch Läutung der Sturm-Klocken verfolgt werden, auch zu derselben Anhaltung, wann es nöthig, Unsere ... Militz ... behülfflich seyn soll. ... Solche Königl. Preußische Werbere, sie mögen in flagranti oder nachhero betreten werden, welche einige Gewalt in Unsern Landen ausgeübet oder auch nur tentiret, sollen als Straßen- und Menschen-Räubere, Stöhrer der allgemeinen Ruhe und des Land-Friedens, auch Verletzer Unserer Hobelt tractiret und ohne alles Ansehen der Person und Qualität, so bald sie schuldig befunden worden, am Leben ... bestraffet werden. Sollte ein Königl. Preußischer gewaltsamer Werber ... sich unterstehen, ... sich mit Gewalt zu widersetzen, So können Unsere Unterthanen Gewalt mit Gewalt vertreiben, solche sich widersetzende gewaltsame Werbere ... todtschlagen oder niederschießen, und wollen Wir solchenfalls demjenigen nicht allein, welcher einen Königl. Preußischen gewaltsamen Werber todt oder lebendig liefert, sondern wer auch sonst einen davon zur Hafft bringen wird, aus Unserer Krieges-Casse jedesmahr Funffzig Thaler reichen lassen. ...

Trotz dieses wahrhaft drakonischen Erlasses nahmen die preußischen Werbungen in unserm Lande kein Ende. Dafür finden wir äußerst interessante Beweise in einigen Schriftstücken, die unser Landesarchiv gerade in den letzten Wochen erwerben konnte.

In dem ersten Stück richtet die Regierung an die „Beambte zu Ratztburg" unter dem 22. Februar 1736 folgende Verfügung:

"Euch wird ohne Zweifel bekannt seyn, was gestalt für wenig Tagen ein Kupferschläger auff der Beeke durch frembde, vermutlich Königl. Preußische Werber bey 40 an der Zahl des nachts mit Ge-

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walt von Bette geholet und entführet worden; Ihr wisset nun, wie scharff dergleichen gewalttätigen frembde Werbungen verboten worden, und da dergleichen Gewalt an den Grentzen dieses Hertzogthumbs verübet worden und zu befürchten stehet, es mögte dieselbe auch an Sr. Königl. Majestät unsers allergnädigsten Herrn Unterthanen ausgeübet werden, So habet Ihr gesambten Untertanen des Euch anvertrauten Ambts ohne Zeitverlust anzubefehlen, daß Sie wohl auf ihrer Hut seyn und bey Unternehmung einiger Gewalt von frembden Werbern nach Vorschrifft des in anno 1731 publicirten edicts verfahren sollen, und werdet Ihr an Orthen und Enden, wo Ihr es nöhtig findet, sonderlich an der Grentze gegen Mecklenburg annoch einige exemplaria zur affixion senden, gestalt, damit es daran nicht fehle, 6 Stück hiebey erfolgen, und verbleiben Ench zu willfahren geneigt."

Die Regierung weist also zunächst mit allem Nachdruek auf die strenge Verordnung von 1731 hin. Dann aber stellt sie energische Nachforschungen an. In einem Schreiben an den Amtmann Ebell und den Amtsschreiber Oldenburg zu Ratzeburg vom 24. Februar 1731 fordert sie sofortigen Bericht darüber, ob die vorher genannten 40 preußischen Werber, die am 19. oder 20. Februar Mustin passiert hätten, sämtlich bewaffnet waren, ob sie zu Fuß der beritten erschienen seien und ob und wie lange sie sich in Mustin oder in dessen Nähe aufgehalten und wie sie sich dort betragen hätten. Leider ist von den Akten dieses Falles nicht mehr als die beiden erwähnten Stücke übrig geblieben.

Ein zweiter Fall dagegen ist weit besser aufgeklärt. Doch da handelt es sich um einen Übergriff preußischer Werber, der schon unter der Regierung Friedrichs des Großen geschah und gwiß nicht auf die Einbringung eines besonders ,,langen Kerls", sondern auf die Rekrutierung für das durch die ersten schlesischen Kriege geschwächte preußische Heer abzielte. Immerhin lag auch hier ein grober Gewaltstreich vor, und wir verstehen die Entrüstung und die Strenge der kurfürstlichen Regierung, wenn sie unter dem 5. November 1751 an das Amt in Ratzeburg schreibt:

"Als ohnlängst ein Schäffer-Knecht Nahmens Jürs von den Adelichen Kögelschen Felde durch den in Lübeck auf Werbung liegenden Preußischen Lieutenant Ruskowsky mit Gewalt weggenommen worden, So begehren Nahmens Sr. Königl. Majestät und Churfürstl. Durchl. Unseres Allergnädigsten Herrn Wir hiemit an Euch, von dessen Persohn mit aller Geheimniß und Vorsicht genaue Erkundigung einzuziehen, damit in der Persohn nicht geirret werde, und, fals er sich in hiesigen Amte betreten lassen solte; denselben zu arretieren und mittelst einer sicheren Bauer Wache in civiler Bewahrung zu behalten, mithin davon anhero alsofort zu berichten, damit er sodann mit einen Commando von hier abgehohlet werden könne."

Der arme Schäfer ist erst viele Jahre später nach schweren Erlebnissen in seine Heimat zurückgekehrt. Er ist dann in Hollenbek ansässig geworden, und man hat ihm, dem altgedienten Soldaten, sogar

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das Amt des Bauernvogtes übertragen. Die kurfürstliche Regierung aber hatte das  Vorkommnis von 1751 nicht vergessen und beantragte abermals das Amt in Ratzeburg, den Jürs über die damalige Entführung und die Schicksale, die er inzwischen gehabt hatte, zu vernehmen. Die Aussage des Schäfers lautet nach der jetzt vom Landesarchiv erworbenen Akte folgendermaßen.

"Er (Hans Jürs) hätte auf einen Sonntag Vormittag auf'm Kogelschen Felde die Schafe gehütet, als ihrer 3, nämlich 2 in grüner Kleidung, der 3.te aber mit einem braunen Überrock, sich zu ihm genahet und welcher letzterer, wie Er nachher erfahren, der Preußische Werb-Lieutnant gewesen. Worauf sie ihn gefraget, ob der dortige Förster zu Hause. und Er erwiedert, er wüßte es nicht eingentl., indem Er wol gesehen, daß der Förster ins Holz gegangen, doch könnte es wohl sein, da es jetzt Mittag wäre. Die 3 Werbers hätten zu erkenen gegeben, wie sie den Förster gerne sprechen möchten. Gleich darauf wäre Er von ihnen befragt, ob er Feuer machen könnte, welches er mit ja beantwortet, wäre aber beim Hinreichen des Feuers von einem vorne an der Hand angefaßet und von den andern rückwärts gehalten und gebunden, worauf sie gefraget, ob er nicht der mittelste von seinen Brüdern sey und Franz hieße, welches Er mit ja beantwortet. Der Lientnant, welcher ein Pferd bey sich gehabt, wäre darauf nach dem im Holze gehaltenen Wagen geritten, worauf solcher herbeygefahren und von denen Werbers Er, Jürs - die Hände auf den Rücken gebunden - darauf gelegt worden. Sle wären bis Mechow ohne Behinderung gefahren. An diesem Ohrt aber hatte Er über Hilfe gerufen, welches die Werbers aber damit abzuwenden gesucht, da sie beständig als betrunkene Lente geschrien, ferner dem Jürrs den Mund zugehalten und den Wagen in vollen Sprüngen jagen lassen. Wie sie soweit mit ihm gekommen wären, daß sie geglaubt, sie hätten nunmehr nichts mehr zu befürchten, hätte ihn der Lieutnant gefraget, ob er Gust Meyer und seine Tochter in Lübeck wol kennete. Jürrs hätte erwiedert: Ja. Ferner hätte der Lieutnant gesaget, die Jungfer auf dem Hofe zu Kogel  bey dem Verwalter Pipenpalm wäre seine Muhme, worauf Jürrs dem Lieutnant zu erwidern gegeben, wie Er nunmehro längst einsehen könnte, wer ihn angegeben. Der Lieutnant hätte erwiedert, es wäre schon lange mit seinem, des Jürrs, Verwalter (Pipenpalm) ausgemachet, daß sie ihn abholen könnten. Der Fuhrmann, welcher aus Lübeck wäre und Cordes hieße, hätte Sie bis Parchim gefahren, alwo Er mit den Werbers wieder zurückgefahren. Er, Jürrs. aber den Preußischen Husaren daselbst übergeben worden, welche ihn nachher von einer Garnison zur andern bis Königsberg transportiert. Das Hand-Geld und capitulation hatte ihm der Lieutnant wieder Willen aufgedrungen, auch hätte Er wieder seinen Willen einen Brief nach Haus schreiben müssen, daß er von der Preußischen Werbung wol zufrieden und Er 50 R.Th. Handgeld frey willig genommen hätte, welches letztere zwar an dem, Er hätte aber das Geld gezwungen nehmen müssen.

Von Königsberg wäre er das folgende Jahr nach Potsdam gelanget und wäre als Grenadier unter das 3te Bataillon Gaarde

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gegeben. gegeben. Wie sie hiernach ins Geld gegangen, sey Er bey Hochkirchen von den Oesterreichern gefangen genommen worden, aus welcher Gefangenschaft Er zu entkommen dadurch Gelegenheit gehabt, weil Er sich gegen die Oesterreicher obligirt, künftig keine Preußischen Dienste wieder zu nehmen. Hierauf habe Er sich unter das hiese Jäger-Corps begeben wollen, wäre aber wegen einer gehabten Blessur nicht annehmlich befunden, Wie solches der ihm ertheilte Paß des Lieutnants vom Stockhauseschen Corps bezeugte.

Da nun diese Anzeige dem Jürrs vorgelesen worden, solche von ihm genehmigt worden, so ist dieses Protocoll damit geschlossen, und comparente wurde dimittirt."

Soweit die neuerworbenen Akten des Landesarchivs! Die Gegenwart aber hat keine  Ursache, über derartige Zustände die Nase zu rümpfen, so lange eine "Kulturnation", wie die französische, es mit den Werbungen für die Fremdenlegion in den europäischen Landen ebenso schlimm, wenn nicht noch schlimmer treibt.


 

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