Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1928



Die alte St. Petrikirche in Ratzeburg.

Von Pastor FISCHER-HÜBNER, Ratzeburg.

Auf dem Platze, wo heute die zur Zeit der französischen Revolution gebaute St. Petrikirche steht, erhob sich ehedem ein völlig anders gestaltetes Gotteshaus. Von diesem soll in Folgendem die Rede sein.

Der Bau des alten "St. Peter" führt uns bis in das 12. Jahrhundert zurück. Was heute die Musik für das Geisteslebeii bedeutet, das vermittelte damals die Architektur. Damals war die Geistlichkeit der "expansivste, angriffsfroheste, frischeste Teil des Volkes, in allen wirklichen Spitzen durchaus blutvoll und kriegerisch." Die jungen Kräfte drängten nach Gestaltung. An dem Kirchbau vornehmlich, dessen geistiger Zweck sich über den Nützlichkeitsbau erhob, bildete sich "die Formkraft der Nation". In der steinernen Sprache der Dome und Kirchen "redet die ganze frühe deutsche Welt, ihre draufgängerische Derbheit und ihre alpdruckhaft düsteren Gefühle, ihr ungestümes Selbstbewußtsein und ihre zeitweilige Hingabe an große Zwecke" (W. Pinder). Wer den trutzig über den großen Ratzeburger See hinüberschauenden Dom, das Triumphdenkmal des Sieges des Christentums, auf sich wirken läßt, der erlebt den Frühling deutschen Bauens wieder.

Wie die Eroberung der Luft durch das moderne Flugzeug so epochemachend war die Entdeckung der GEWÖLBEKONSTRUKTION gewesen, die das flache Dach verdrängte. Eine ebenso schöpferische Neuerung war in Norddeutschland der BACKSTEINBAU, der sich aus dem Mangel an Haustein ergab. In unserer Nachbarschaft befindet sich die Kirche, die als ältestes derartiges Gotteshaus gilt, die zu Segeberg (1134-56), *) an die sich der Dom zu Lübeck reihte. Ihm folgte, mit der Anlage des Braunschweiger Doms übereinstimmend, unser Dom, "in dem der Backsteingewölbebau der romanischen Zeit
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*) Dies wird freilich von einigen Forschern bestritten.

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seine Höhe erreichte". Dem Schema der beiden Kathedralen schloß sich der Dom in Riga an.

Im Lauenburgischen gebührt vornehmlich Heinrich dem Löwen das Verdienst, den Kirchbau angeregt zu haben. Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstand neben dem Dom zu Ratzeburg in Stadt und Land eine Kirche nach der andern. Wir gehen sicherlich nicht fehl anzunehmen, daß die Prämonstratenser, die mit dem
Bischof nach Ratzeburg gekommen, die treibenden und ausführenden

 



Die St. Petrikirche zu Ratzeburg im 13. Jahrhundert.
 

Kräfte der Kirchbaubewegung im Lande Lauenburg gewesen sind. Neben der schönen Kirche in Mölln und fast sämtlichen Dorfkirchen unsrer Gegend erstand auch auf der Insel um 1200 ein Kirchlein, das den Fischern zu Liebe nach ihrem Schutzpatron St. Peter genannt wurde. Der vollständige Grundriß desselben ist leider nicht vorhanden, aber der der Apsis und des Chors liegt vor. Es zeigt sich bei einem Vergleich mit dem Dom, daß die Anlage des Chorraums eine Kopie desselben ist, so daß derselbe Baumeister beide Gotteshäuser geschaffen haben dürfte. Der Stil ist der spät romanische. In der halbkreisförmigen Apsis saßen drei halbkreisförmige kleine Fenster, die den gewölbten, viereckigen Chorraum von Osten her erleuchteten.

Gibt es neben dem Grundriß auch urkundliche Belege von der Entstehung der St. Petrikirche in jener Zeit? An erster Stelle steht jene im Strelitzer Archiv aufbewahrte, berühmte Urkunde, wonach Heinrich der Löwe anno 1158 das Bistum Ratzeburg dotiert. Dort heißt es: "DAMUS ... ESCCLESIAM SANCTI GEORGII IN RACEBURG ET
 

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ECCLESIAS ADHUC IN INSULA FUNDANDAS." Hiernach bestand schon 1158 die Absicht, Kirchen auf der Insel zu begründen. Es können nur die beiden uns bekannten Gotteshäuser gemeint sein: der Dom als Bischofskathedrale und die Kirche der Fischergemeinde St. Petri, deren Einkünfte dem Bischof gebührten. Leider kennen wir bislang die Urkunde über das Entstehungsjahr der letzteren nicht, wie sie denn auch in der romanischen Zeit nicht erwähnt wird. Nur Backsteine jener alten Kirche (die gleichen sind am Dom erkennbar) dürften noch hinter den großen Ziegelsteinen zu finden sein, die die Umfassungswände des jetzigen Baues ca. ein Meter über der Erde zieren. Bestätigt aber wird der Befund des Grundrisses durch einen Bericht des Rats der Stadt an das Konsistorium vom Jahre 1732: "Betreffend die Erbauung der Kirchen und die dazu erforderlich gewesenen Kosten,
 



Grundriß der alten St. Petrikirche.
 

so findet sich davon in dem Stadt Archivo gar keine Nachricht, jedoch ist es in ANSEHUNG DER STRUCTUR ziemlich wahrscheinlich, daß dieselbe wo nicht vor, doch zu den Zeiten HENRICI LEONIS aufgeführet, welches auch aus dem in der Kirchen befindlichen Bilde des Mannes mit dem roten Mantel und der Unterschrift


DE DAT BESTE THOR SACKE HEFFT GEDAEN
MUTT UNDANCK TO LOHNE HAEN.


einigermaßen abzunehmen, inmahlen sich diese Reime auf HENRICUM LEONEM als STRUCTUARIUM sehr wohl schicken. Negst [sic!] dem scheinet auch nicht ohne Grund zu sein, daß nach Erbauung der Kirchen die hohe Landesherrschaft Ihr derselben REPARATION sonderlich angelegen sein lassen, besonders weil Herzog Franz der Jüngere neben seinen beiden Gemahlinnen, die er SUCCESSIVE gehabt, recht über den Altar am Gewölbe abgemahlet stehet." Es dürfte nicht ganz von der Hand zu weisen sein, daß Heinrich der Löwe, wie zum Dombau, so auch zur Errichtung einer kleinen Fischerkirche auf der Insel Anregung und Mittel dargereicht hat.

Etwa hundert Jahre lang mag die stimmungsvolle, romanische Kapelle gestanden haben. Inzwischen war Ratzeburg eine Stadt geworden und hatte sich so an Einwohnerzahl gemehrt, daß das kleine Gotteshaus längst dem vorhandenen Bedürfnis nicht mehr entsprach. Sei es nun, daß man das Schiff der Kirche niederlegte und neu baute, sei es, daß die Lübecker bei der allerdings vergeblichen Be-


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lagerung der Stadt im Jahre 1291 die Kirche teilweise zerstörten, so viel ist gewiß, wie es der Grundriß ausweist, daß um 1300 ein prächtiges, frühgotisches Schiff dem romanischen Altarraum angefügt wurde. "Dieses Langschiff ist eine zweischiffige gewölbte Halle gewesen, deren Gewölbebogen von fünf in der Längsachse freistehenden Pfeilern getragen wurden", der Krummesser Kirche ähnlich. "Mit der Gewölbekonstruktion ist nach außen die Pfeilervorlage bedingt, die allerdings auch bei manchen kleineren Kirchen fehlt. Wie bei allen älteren Dorf- und den meisten Kirchen kleinerer Städte, hat der Turm dem Chor gegenüber auf der Westseite gestanden, ist breit vorgelegt und hat ein einfaches sog. Satteldach gehabt. Aus dem alten Kupferstiche (1588) ist schon eine spätere Turmform mit schlanker Spitze zu sehen." So schreibt Kreisbaumeister Wolff, der als erster eine Rekonstruktion der alten romanisch-gotischen Kirche versucht hat und die Ansicht vertrat, daß "der alte Sankt Peter zu den schönsten kirchlichen Gebäuden des Kreises zu zählen sei. Man muß dem Fachmann billig zustimmen. Welch eine Perspektive muß sich dem durch das Westportal der Kirche eintretenden Besucher eröffnet haben! An den schlanken Pfeilern vorbei, die den Blick zu den gotischen Kreuzgewölben hinauflenkten, sah man im Halbdunkel des romanischen Chorraums, den die halbkreisförmige Apsis abschloß, den mit künstlerischem Schnitzwerk gezierten Altar, die ebenfalls geschnitzte Kanzel an der Südseite unweit des Chores und an der Grenze zwischen diesem und dem Schiff im Gitter die steinerne "Taufe". Das Ganze wirkte warm, und die Andächtigen waren vom ersten Augenblick an von der Stimmung der Anbetung des Heiligen ergriffen. Kunrat von Hövelen, der sich einer merkwürdigen Orthographie befleißigte, möge unsern Eindruck bestätigen helfen. Er schreibt ANNO 1667: "Die Stadt-Kirche ist nicht un-äben geformiret, wie wol sie etwas klein der Gemeine fället. ist sonst mit einem ziemlichen Altare, Kanzel, Taufe, Orgel s: dergl: geziret." Was die Größe des Baues betrifft, so war die Kirche "schmaler, aber länger als die jetzige" und befand sich am gleichen Platze wie heute die neue Kirche, nur ist diese um ein Geringes verschoben.

Herr Gymnasialoberlehrer Ackert hat den verdienstvollen Versuch gemacht, die alte St. Petrikirche zu rekonstruieren, wobei ihm die Kirche zu St. Georgsberg, der Kupferstich von 1588 und der Grundriß von 1714 samt dem Gebäudebild aus dem gleichen Jahre als Vorlage dienten. Man denke sich hierzu das Stadtbild vor dem
Brande 1693, kleine Fachwerkbauten, die der auf der Höhe der Insel gelegene St. Peter mit seinem nicht sehr hohen Turm bescheiden überragte, so ganz zu dem Milieu der Kleinstadtgemeinde passend.

Wenn nun auch St. Peter einen Vergleich mit dem prachtvollen, gewaltigen Dom, der Bischofskirche, keineswegs zuläßt, so ist es doch zu bedauern, daß der durch die Bombardierung von 1693 hindurch gerettete Bau dem Unverstand einer geschichtslosen, rationalistischen Zeit zum Opfer gefallen ist


 


 

 

 

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