Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1929


[Miszelle]

Bücher- und Zeitschriftenschau

 

Hellmut Trüper: Die norddeutsche Landschaft in der Kunst. Ihr Bild und ihre Seele. Adolf Sponholtz, Verlag G. m. b. H., Hannover 1928. Soviel man aus dem theoretischen Rahmenwerk dieses Buches ersehen kann, will der Verfasser so etwas wie eine Geschichte der Landschaftsschau und des Landschaftsempfindens geben, dargestellt an ihrem typischen Ausdruck in den Werken vorwiegend epischer Kunst. Also eigentlich keine literarhistorische, keine kunsthistorische Arbeit: vielmehr hat das Trüpersche Buch als ein Beitrag zur Geschichte der Ästhetik zu gelten und als einer jener wagemutigen Versuche, wie sie aus der Methodik der jungen literaturwissenschaftlichen Disziplin hervorgehen. Letzteres ergibt sich einmal aus der Ableitung seiner wissenschaftlichen Forschung von einem sehr persönlich subjektiven ERLEBNIS der Landschaft und zum anderen aus der Art und Weise begrifflichen Ringens, das sich stets und ständig (eben wegen des Bekenntnischarakters, der dem Buche eignet) bemüht zeigt, das Feld gegen alle möglichen Einfälle sorgsam-ängstlich abzustecken. - Der Autor beschränkt seinen Blickbereich auf die norddeutsche Landschaft
im weiteren und die Flachlandschaft Nordwestdeutschlands als "die für den Norden Deutschlands typische Landschaftsform" im engeren Sinne. Und indem er in einem derart geographisch umgrenzten Gebiet drei wesentliche Landschaftstypen: die Heide- und Moorlandschaft, die Marschlandschaft und die Seenlandschaft unterscheidet, sichert er seinem Arbeitsgebiet Weite und Vielgestaltigkeit. In diesem Sinne hat er es sich angelegen sein lassen, seiner Spezialuntersuchung einen großzügigen und doch gründlichen Unterbau zu geben mit einem allgemeinen Überblick über das Landschaftsbild der neuzeitlichen Jahrhunderte. In fesselnder Weise zeigt er, wie sich aus einer rein utilitaristisch bestimmten Landschaftsanschauung des 16. Jahrhunderts allmählich im Laufe des 17. ein ästhetischer Selbstwert der Landschaft herausentwickelt. Man verfolgt die

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Wandlung des Landschaftsideals aus der stilisierten Rokokolandschaft in die Rousseausche Berglandschaft, wie sie bis in das 19. Jahrhundert in der Kunst vorherrschend blieb. Auch die Romantik pflegte noch das durch äußere Bewegtheit der Linien und Formen bestimmte Landschaftsbild, wenn sie auch begann, die reale individuelle Anschauung praktisch zu verwerten. War durch die Romantiker ein Schritt weiter zur Vergeistigung und Erweiterung des Landschaftsbildes getan, so blieb die Entdeckung der Ebene, der norddeutschen Flachlandschaft, dem 4. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts vorbehalten. Hier war es nun vor allem die Droste, welche aus einer rein persönlichen Bindung an die westfälische Landschaft "als qualitativ bestimmter Art von Natur" mit einem ausgesprochenen Gefühl für ihre typischen Eigenheiten das norddeutsche Moor und die norddeutsche Heide zu schildern unternahm. Ihr Landschaftsbild war Stimmungsbild, mit einer inneren Intensität erfüllt, wie sie in der Folgezeit unerreicht blieb, freilich allerdings stark einseitig und darum nicht schlechthin erschöpfend. Unabhängig von ihr schritt der Realismus weiter vor und gestaltete in seinen Vertretern Storm, Alexis, Groth u. a. den Stimmungsgehalt der Landschaft bewußt realistisch. Hier finden wir nun schon die Betrachtung der Landschaft als Einheit, als Totalität; das Bewußtsein der Raumtiefe, die Verwendung des Lichtmotivs in der Landschaft und das Erfassen des stimmungsmäßig Verschiedenen in der Ebene. Alexis entdeckte die Bildeinheit des Waldes; Storm setzte die Marsch erstmalig in Beziehung zum Meer; Fontane, der große Prosaiker, abstrahierte vom Stimmungswert und zeichnete die Landschaft so wirklich, so konkret und objektiv wie möglich. Mit dem Impressionismus aber vollzog sich erst die Verlebendigung der Landschaft, ihre unmittelbare Beziehung als höhere Wesenheit auf das Individuum. Man braucht nur die Namen Liliencron und Löns zu hören, um zu fühlen, daß mit diesem Aufgehen in der Landschaft an sich ihr Ausdruck in der Dichtung einen Höhepunkt gefunden hat. - Wir haben in Trüper einen feinen und klugen Interpreten des Landschaftsmotives in der Literatur vor uns. Manches will uns reichlich abstrakt erscheinen, zumal der Autor mit Beispielen nicht eben verschwenderisch umgeht. Auch wäre man für ein näheres Eingehen auf die rein technische Verwertung des Landschaftsbildes in Prosa und Lyrik dankbar gewesen. Denn man ist sich bei fortschreitender Lektüre immer deutlicher bewußt, hier einen Menschen sprechen zu hören, welcher kein besseres Bestreben kennt, als unserer norddeutschen Landschaft ihre feinsten, geheimsten Eigentümlichkeiten abzulauschen.

Dr. W. G.
 

 


 

 

 

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