Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1929



Die Grundsteinlegung zum Ratzeburger Dome.

Von RICHARD HAUPT.

Rickmann in seinem dankenswerten kleinen Buche über die Domkirche sagt auf der vierten Seite: „Neben dem südlichen Eingänge zur Domkirche ist eine Sandsteintafel *) eingemauert mit folgender Inschrift: ANNO DOMINI MCXLIIII 3 IDUS AUGUSTI FUNDATA ET CONSECRATA EST RACEBURGENSIS ECCLESIA CATHEDRALIS AB ILLUSTRISSIMO PRINCIPE DUCE HINRICO BAWARIE ET SAXONIE QUI OBIIT ANNO MCXCV ORATE PRO EO. Den Schriftzeichen nach ist aber AUCH DIESE Tafel (er meint nemlich [sic!], daß der Heinrichstein mit seiner Inschrift über den Grafen Heinrich von Badewide "in späterer Zeit, vielleicht im 15. Jahrhundert" gefertigt sei) später gefertigt worden, etwa im 15. Jahrhundert, und sind ihre Angaben mit den übrigen geschichtlich nachweisbaren Begebenheiten nicht in Einklang zu bringen. Im Jahre 1144 war Heinrich der Löwe erst 15 Jahre alt und konnte doch wohl kaum schon die Gründung der Kirche vornehmen, es sei denn daß Solches von er Regentschaft in seinem Namen geschah; noch weniger aber konnte sie schon von ihm eingeweiht werden, da dieß doch erst nach Vollendung der Kirche, und überhaupt nicht von einem Herzog geschehen konnte. Man hat daher annehmen wollen, daß in Bezug auf das FUNDATA ein Fehler vom Steinmetz begangen wurde, der in der Jahreszahl versehentlich VOR der Ziffer L statt dahinter die Ziffer X einmeißelte, dann würde die Jahreszahl MCLXIIII lauten."

Es gehört ein starkes Stück von Glauben dazu, anzunehmen, daß der Auftraggeber die Tafel mit der durch den Fehler so vollständig verpfuschten Inschrift so hat einsetzen lassen. Und es ist ander­
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*) Die Herren Architekten nehmen es nicht selten mit Bezeichnung der Werkstoffe nicht ängstlich genau und verschmähen die chemische Prüfung, wie auch die mit dem Messer oder besser mit den Zähnen. Gelehrte sind nicht stets sorgfältiger; Hellwig erklärte die Tafel für ein Erzeugnis des "Ziegelbäckers", dem dann allerdings eine Dummheit wohl zuzutrauen war!

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weit bezeugt, daß nicht 1144, nicht 1164, sondern 1154 das Jahr der Gründung der Ratzeburger ECCLESIA CATHEDRALIS ist. So schien trotz der allgemeinen Übereinstimmung in bezug auf den Wortlaut eine auf eigene Untersuchung sich neu gründende Feststellung wünschenswert. Ich habe sie am 26. Mai d. Js. vorgenommen. Was ergab sie?

Die Zahl bedeutet gar nicht 1144, sondern das angebliche X ist kein X, was sich zunächst aus der Vergleichung mit den beiden anderen in der Inschrift vorkommenden X ergibt, sondern es ist ein nur nicht ganz deutlich ausgeführtes E, das heißt ET, zu deutsch UND. So bezeugt sich der 11. August 1154.

Daß man das Datum gekannt hat, bezeugt sich selbst, und daß man es hat wissen können, ist ganz natürlich. War es doch überall Gebrauch, daß die Tage wichtiger kirchlicher Vorgänge in den Festkalendern angezeichnet wurden, namentlich der Weihungen. Darüber sind freilich die Jahreszahlen oft vergessen worden; das kann man fast bei jeder Kirchweihfeier mit erleben. Daß man zu Ratzeburg beim Domkapitel sie nicht vergessen hatte, zeigen die Nachrichten und bezeugt nun der Wortlaut der Inschrift.

Auch über die Zeit der Anfertigung der Tafel, die, wie der Augenschein zeigt, sehr sauber und gut in GOTLÄNDISCHEM KALKSTEIN gefertigt ist, kann kein Zweifel bestehen. Gleich der erste Buchstabe, wie die Form des Wappenschildes, bezeugen die um 1500, und es kommt dazu die Zahl 3 in arabischer Ziffer, statt der im Mittelalter gebräuchlichen III. Die neuen Ziffern sind vor 1500 nur ausnahmsweise angewandt worden; hier veranlaßte der Mangel an Raum, und die unmittelbar vorhergehenden vier I, nicht nochmals drei I folgen zu lassen.

Es ist also von Heinrich dem Löwen der Grundstein am 11. August gelegt, und zwar unter Vornahme der selbstverständlichen kirchlichen Feierlichkeit, wobei dem zuständigen Bischof Evermod ohne Zweifel die Weihung des Platzes zufiel, den der Graf Heinrich zu dem Zwecke auf Veranlassung des Herzogs abgetreten hatte. Die besondere Erwähnung der Weihung ist uns nicht ohne Bedeutsamkeit; denn sonst könnte man, wenn man wollte, das Datum auch auf die Stiftung des Bistums beziehen.

Wer die beiden Dome, den Lübecker und den Ratzeburger, genau kennt, dem fällt ein Gleichgang in ihrer Geschichte auf. Sie verdanken nicht bloß den Ursprung demselben mächtigen Herrn, wie denn das Aufleben der beiden Bistümer gewissermaßen eine einzige Handlung gewesen ist - nachher war auch nachbarliche Eifersucht bewegend. Am Ratzeburger Dome war das Glanzstück die schöne Vorhalle, jetzt zu einer Winter- und Notkirche eingerichtet, vordem, bis gegen 1880, was schon ganz vergessen ist, frei und luftig mit zwei großen Portalen offen. Die Lübecker überboten das bald und setzten vor das Hauptportal das wunderbare Paradies, das Juwel des Übergangsstils, wie es mit Recht heißt. Wenn dann ein paar Jahrhunderte später am Schiffe eine Denktafel angebracht worden ist, erinnernd an DESSEN Erbauung zu Ehren St. Nikolai, und die damit

 

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verbundenen Feierlichkeiten, wofür die Jahreszahl nicht ganz genau, sondern rund auf 1170 angegeben ist, so spricht sich in der Anbringung der entsprechenden Inschrift am Ratzeburger Dome unzweifelhaft nicht ein zufälliger Gleichgang der Ereignisse aus, sondern eine bewußte Absicht.




 


 

 

 

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