Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1930


Alte Wandmalereien des Ratzeburger Doms.

Von FERD. V. NOTZ, Oberst a. D.
 

Die altchristliche Kirche bediente sich bereits der Malkunst zum Schmucke ihrer Gotteshäuser. Die byzantinische Kirche schwelgte in Farbenpracht.

"Die Kirchen des 12. Jahrhunderts", zu denen unser Dom gehört, "waren sämtlich, teils mehr, teils weniger auf Ausmalung berechnet. Die großen Wölb- und Wandflächen erhielten dadurch eine Teilung, welche ihnen sonst mangels plastischer Gliederung abging. Sie erschienen durch diese Teilung leichter und duftiger. Innerhalb der Teilung aber gewann man die Felder zur Anbringung eines Bilderschmuckes, der der ganzen Innenerscheinung eine höhere Bedeutung und Durchgeistigung verlieh, der aber zugleich auch den Zweck erfüllte, dem Volke biblische Tatsachen vor Augen zu führen. Ein dem christlichen Bilderkreise entnommener fortlaufender Gedanke, meist ein Hymnus auf die Gottheit, bildet immer die Seele der Ausmalung der Kirchen des 12. Jahrhunderts".

So Baurat Wiehe, Braunschweig, ein Kenner mittelalterlich-kirchlicher Kunst, in seiner kleinen Schrift: Die Ausmalung der Stiftskirche zu Königslutter (Mai 1894) 1)

Wir finden Wandmalereien, und sind es oft auch nur Reste oder Spuren, in fast allen Kirchen jener Zeit. Auch noch die "Übergangszeit" und die Frühgotik haben ihre Kirchen weitgehend ausgemalt, bis der Baumeister die weiten Wandflächen aufteilte in Fenster an Fenster größten Ausmaßes, so daß dem Maler kein Raum mehr

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1) Siehe auch Haupt, Geschichte und Art der Baukunst usw. Band V 69, 14 ff. (1924) und Band VI 69, 2 ff. (1925).


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an den Wänden verblieb und er sich mehr und mehr der "Schilderei", der Malkunst auf Tafel und Leinewand, zuwandte.

Nur selten haben sich in unseren Landen alte Wandmalereien so schön und unverändert erhalten wie die in der Büchener Kirche. Nur zu oft sind sie übertüncht, verunstaltet und verpfuscht oder gar gänzlich zerstört. Sie sind der Zeiten Mode, veränderter Geschmacksrichtung oder der Torheit zum Opfer gefallen. Es sind nicht nur die blindwütigen Bilderstürmer der Reformationszeit, die so böse unter den Schätzen einer hochentwickelten alten Kunst aufgeräumt haben: selbst die neueste Zeit ist da nicht frei von Schuld und Fehle.

Es war dann ein Glück für die Nachwelt, wenn die Beseitigung der mißliebig gewordenen Bilder nur durch Übertünchung erfolgte, wie es z. B. zu Braunschweig im St. Blasiusdom und in Königslutter geschah. Hier wurden sie in den achtziger, dort in den vierziger Jahren vorigen Jahrhunderts wieder aufgedeckt, um in alter Pracht und Schönheit neu zu erstehen. Vom Ratzeburger Dom wissen wir nur, daß die Mansfelder Landsknechte, die ihn 1552 ausplünderten, so übel in ihm gehaust haben, daß sie nicht einmal der Fenster schonten und alles zertrümmerten und vernichteten, was ehedem innen war.

Die Königlutterer Stiftskirche, nahe Helmstedt im Braunschweigischen, erbaut 1135-38, war die Grabeskirche Kaiser Lothars und seiner Gemahlin sowie Herzog Heinrichs des Stolzen von Sachsen, der Großeltern und des Vaters Heinrichs des Löwen. Sie ist ein Musterbeispiel der alten niedersächsischen Dombaukunst. So groß ist ihre Ähnlichkeit und in vielem sogar Gleichheit mit den von Heinrich dem Löwen in Ratzeburg nach der am 11. August 1154 geschehenen Begründung, in Lübeck, seit etwa 1160, und in Braunschweig, seit 1173, gebauten Domen, daß enge Zusammenhänge zwischen ihr und ihnen anzunehmen sind, wie zwischen Geschwistern.

Während nun die Kirche in Königslutter und der Dom in Braunschweig weitgehend innen ausgemalt waren - in Braunschweig entstammen die Gemälde bestimmt dem Anfänge des 13. Jahrhunderts, also der Zeit unmittelbar nach Fertigstellung des Bauwerks, - fehlte davon in Ratzeburg und Lübeck bisher fast jede Spur. Das hat sicher nichts mit dem verschiedenen Baustoff zu tun, - hie Ziegelstein, dort Haustein, - denn viele andere alte Backsteinbauten hatten nachweislich oder haben noch altertümliche Bemalung. Vom Lübecker Dom wissen wir immerhin, daß er Malereien besessen hat, die kurz nach 1345 entstanden sein müssen und die 1721 vernichtet wurden (s. Baltzer und Bruns: "Der Dom zu Lübeck" 2); vom Ratzeburger Dom wissen wir nichts!

Über den Ratzeburger Dom schrieb der Architekt J. F. Lauenburg im ersten Anhang zu Masch' "Geschichte des Bistums Ratzeburg", 1835: "An der Außenseite findet sich keine Spur irgendwelcher Malerei, wohl aber im Innern der Kirche; hier bildet sie eine sehr

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2) Das einzige heute noch im Lübecker Dom erhaltene Wandbild ist 1646 entstanden, welche Jahreszahl wir auch bei den späteren "Ausschmückungen" des Ratzeburger Domes wiederfinden werden.

 

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passende Verzierung verschiedener architektonischer Details. Es sind nämlich alle säulenartigen Stäbe, welche die Ecken der freistehenden Pfeiler bilden, mit einem Bande in spiralförmiger aufsteigender Linie umwunden. Das Band ist dreifarbig; entweder rot, grün, schwarz oder rot, gelb, schwarz. Es ist diese Verzierung bei jedesmaliger
Tünchung der Kirche wieder aufgemalt." 3)

Baumeister Fr. W. Rickmann-Schönberg, der von 1876 ab fünf Jahre lang die großen Wiederherstellungsarbeiten am Dome leitete, erwähnt in seiner "Festschrift" zur Wiedereinweihung der Kirche - 1881 - S. 56 gleichfalls "die Zickzacke an den Gewölbegraten, die gewundenen Bandstreifen an den halbrunden Ecken der Pfeiler und die übrige Bemalung der Wandflächen" (! ?), sagt aber ausdrücklich: "daß der Dom wie außen so auch im Innern reiner Rohbau gewesen und daß (wie bei der Entfernung der sämtlichen Tünche im Innern sich herausgestellt habe) KEINE SPUR VON MALEREI ZUR ANWENDUNG GEKOMMEN" sei. "Ältere Malerei, unmittelbar auf dem Putz, hat sich nur an den Gewölbedecken, sowohl der abgegebrochenen [sic!], als auch der ... Lauenburgischen Kapelle ... gefunden ... Auf der Nordseite wurde in einer (jetzt abgebrochenen) Kapelle unter der Kalktünche eine Wandmalerei auf dem Putz entdeckt, die schon so zerstört war, daß nur noch farbige Gewandungen von menschlichen Figuren sich erkennen ließen."

Rickmanns Urteil hat bislang die allgemeine Auffassung über diese, für das Bauwerk und seine Entwicklungsgeschichte so wichtige Frage beherrscht. Fortan war es ausgemacht: "Der Ratzeburger Dom ist nie ausgemalt gewesen!"

Das wird nachzuprüfen sein. - Vorweg sei bemerkt, daß der Dom im Innern doch nicht überall, wie Rickmann behauptet, "reiner Rohbau gewesen" sein kann. Spricht er doch selbst im nächsten Satze von "unmittelbar auf dem Putz". In Akten und Briefen aus jener Zeit findet man verschiedentlich die Bemerkung, daß "bei der Restauration der Kalkputz von den Wänden entfernt" worden sei 4) Die jüngsten Funde in den Kreuzganggräbern, von denen noch eingehend die Rede sein wird, brachten alte, stark verputzte Ziegelsteine ans Tageslicht, die kaum wo anders herrühren können, als aus dem Dom. -

Zunächst scheint es aber so, als gäben ältere Nachrichten Rickmann recht, so spärlich und mager sie sind. In dem Ratzeburger Kirchen-Visitationsprotokoll von 1620 beklagt sich der wackere Petraeus über den unwürdigen Zustand seines Gotteshauses, das "inwendig wol fast 78 Jahre nicht mehr ausgeweißet sei". Wie jenen "GRAVAMINA" des Superintendenten und seinem "PETO freundlich ..." Folge gegeben wurde, werden wir später sehen.

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3) Ähnliche Farbbänder "zur Hervorhebung einzelner Architekturteile . . . ., ohne die die Plastik unfertig und unbefriedigend" ist, finden sich auch im Lübecker Dom, sagt Haupt VI 69, 2.

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) Oberbaurat Daniel schreibt am 13. 12. 1874 in seinen Vorschlägen über den projektierten Durchbau des Domes: "Die Dekoration der Wände soll ... (so) ... ausgeführt werden, daß die Wandflächen (erst) von Kalk und Bemalung gereinigt werden". -


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Nach den ungemein fleißigen und gewissenhaften "Repetitorien" des Domprobstes Arndt - Eintragung von etwa 1810 - ist "die Kirche 1750 und 1785 ausgeweißet worden". Die Tünche kann aber, wie bewiesen werden wird, nie die Gesamtheit der Wände erfaßt haben.

Masch, der beste und liebevollste Kenner des alten, noch nicht restaurierten Bauwerks, weiß ebenfalls von ganz alter Ausmalung nichts. Doch urteilt er vorsichtiger  (Hdschrft. Bl. 11): "Ob die Wände des Mittelschiffs und der Apsis mit Farbe geschmückt waren, wie man es sonst in romanischen Kirchen findet, ist möglich" ... Die
Veränderungen ... in der Mitte des 17. Jahrhunderts, - eine Inschrift besagt "HOC TEMPLUM RENOVATUM 1646" - und was seitdem getan ward, haben dergestalt alle Zeugnisse des katholischen Gottesdienstes entfernt, daß keine Spur davon geblieben ist. "Da ist an den Mauern kein Weihekreuz geblieben." '

Immerhin sind letzthin erst unter neuerer Tünche, die durch Feuchtigkeit abgewittert ist, Ornament-Malerei-Reste ans Tageslicht gekommen: ein altes "Weihekreuz" in der jetzigen Taufkapelle und Ranken-Malerei an einer Pfeilerkante im südlichen Querschiffe. Beides ist unzweifelhaft alt, auf dünnen Putz aufgetragen.

Es wäre doch verwunderlich, wenn die Nebenkapellen ausgemalt gewesen wären, wie es Rickmann festgestellt hat, und die Hauptkirche nicht. Aber nicht nur an den Ncbenkapellen ist die Malkunst geübt worden, sondern auch an weiten Flächen des an die Kirche anstoßenden Kreuzganges. Über dessen Ausmalung konnte Rickmann allerdings noch nichts wissen. Erst 1895 wurde sie entdeckt. Von ihr wird noch eingehend die Rede sein.

Auch im nahen Lübeck wurden, 1887, an den Resten des zum Dome ehedem gehörenden Bischofshauses alte Malereien aufgedeckt 5).

In Ratzeburgs Umgebung, in den sicherlich doch ungleich kleineren, ärmeren und unbedeutenderen Kirchen zu Sterley, Behlendorf, Berkenthin, Breitenfelde, Mölln und Büchen finden sich so bedeutende, und zum Teil trefflich erhaltene, alte Malereien, daß die Annahme nicht berechtigt erscheint, das viel reichere Ratzeburger Domstift habe auf jeden sonst üblichen Wandschmuck in seiner Stifts- und Kathedralkirche verzichtet und hätte diese kahl und kalt stehen lassen!

Vor kurzem ist nun am Dom ein Fund gemacht worden, der unwiderleglich dartut, daß auch am Dome in ältester Zeit die Malkunst fleißig gepflegt ist.

Am 19. November 1928 stießen Bauhandwerker im Fußboden des östlichen Kreuzganges bei einer Röhrenlegung auf längst verschüttete Gruftanlagen, Grab an Grab. Die vier Wände der Einzelgräber waren in Backsteinen aufgeführt; Decke oder Gewölbe sind längst zerstört. Beim Durchbruch der Wände eines dieser Gräber

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5) Beim Neubau eines Doppelschulhauses wurde ein als Scheune benutztes Bauwerk abgetragen, das zu der 1819 abgebrochenen Bischofswohnung gehört hatte. An dessen südöstlicher Außenwand fanden sich Überreste eines in Kalkfarben gemalten und schwarz konturierten großen gotischen Wandgemäldes, das etwa um 1339 entstanden sein mochte. Lichtdruckabzüge des Baudirektors A. Schwienig und Dr. Th. Hachs befinden sich im St. Annen-Museum.

 

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wurden verputzte (!) und BUNT BEMALTE alte Ziegelsteine ans Licht befördert, 22 an der Zahl. Sie fanden sich ungeachtet ihrer Bemalung zusammengefügt. Sie zeigen Spuren alten Mörtels, während sie im Grabe nur mit Lehm verbunden waren. Demnach kann es sich nicht um die innere Ausmalung eines Grabes handeln, sondern die Steine müssen bereits vor ihrer Verwendung als Grabgemäuer anderen Orts eingebaut und bemalt gewesen sein. Sie müssen also vorher einem ausgemalten Raume angehört haben, der dem Abbruche verfallen war, ehe die Gruft angelegt wurde. Letzteres scheint nach den im Kreuzgange befindlichen Grabsteinen zu urteilen im 16. Jahrhundert
erfolgt zu sein. Doch könnten die Gruftanlagen auch natürlich älter sein.

Die Steine, große gelbliche Ziegel, sind der Art, wie sie bei den ältesten Teilen des Domes Verwendung fanden.

Die Technik der Malerei ist folgende: Auf ziemlich dicker Putzschicht sind Kalkfarben, meist schwarz, weiß und rot, musterartig in Strichen und Bögen zu Ornamenten aufgetragen. Einfache "Bandmalerei", wie sie vorher erwähnt wurde, ist es aber keineswegs. Figürliches oder Bildliches läßt sich an ihnen nicht erkennen. Trotz ihres
langen Lagerns in feuchter Erde hat sich die Farbe auffallend gut erhalten.

Wo stammen nun die Steine her, und wo waren sie erstmalig eingebaut als Untergrund zusammenhängender Malerei? Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß das im Dome selbst war. Rickmann erwähnt (S. 31), daß seine Wiederherstellungsarbeiten an den beiden Chor-Seitenkapellen auf Grundgemäuer zweier kleinerer, halbrunder Seiten-Apsiden gestoßen wären (wie sie ja auch bei den Domen in Königslutter, Lübeck und Braunschweig zu den Grundplänen gehören). Vielleicht stammen die bemalten Steine von dem frühen Abbruche dieser Nebenkapellen her?)

Wie dem auch sei, der merkwürdige Fund dürfte ein Beleg dafür sein, daß der Dom in ganz alter Zeit mehr bemalt war, als bisher angenommen wurde.

Noch heute werden unverhofft manchmal alte Malereien unter vielhundertjähriger Tünche aufgedeckt. Der Versuch ist verlockend, die kahlen Wände des Domes daraufhin einer Nachprüfung zu unterziehen. Ein Umstand scheint jedoch gegen die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges zu sprechen: Das "Große Reinemachen" hat leider GANZE
Arbeit getan: Ehe die Wände ihren heutigen Anstrich erhielten, sind sie "abgekratzt" worden. Damit würde alles vernichtet sein, was etwa noch aus ganz alter Zeit unter der früheren Tünche vorhanden gewesen ist. Allenthalben scheint tatsächlich der Rohbau durch; nur die hohen Gewölbe und die Apsis könnte vielleicht dafür in Betracht
kommen.

Die Hoffnung ist gering, daß noch einmal Forscherhand alte Schönheiten unter dem grauen Leichentuche der Tünche aufdeckt und zu neuem Leben erstehen läßt.

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6) Die bemalten Steine werden in der Dombücherei aufbewahrt.

 

(Fortsetzung folgt.)






 


 

 

 

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