Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1931


Zum Reformationsjubiläum Lauenburgs.

Von Pastor FISCHER-HÜBNER.

 

Im Archiv des Vereins für die Geschichte des Herzogtums Lauenburg 1908 S. 125 hat sich der früh vollendete Pastor Jöns sen. über die "Aufgaben der Geschichtsschreibung für das Herzogtum Lauenburg" geäußert. Er forderte damals dreierlei: 1. Aufhellung der Besiedelungsgeschichte, 2. Darstellung der Geschichte jedes einzelnen Ortes, 3. Aufklärung über die lauenburgische Kirchenreformation.

Wenn je, dann ist jetzt das Bemerken für die dritte dem Geschichtsverein gestellte Aufgabe groß, da in diesem Jahre im ganzen Lande das Jubiläum der Einführung der evangelischen Predigt im Fürstentum Niedersachsen, wie man einst Lauenburg zu nennen pflegte, in allen Gemeinden festlich begangen wird. Vor 23 Jahren schrieb Pastor Jöns, der eine noch ungedruckte, archivalisch begründete Ortschronik von Lassahn geschrieben hat: "Die Einführung der Reformation in Lauenburg liegt noch sehr im Dunkeln. Während man in allen benachbarten Ländern viele Nachrichten über die Reformationszeit hat, ist bei uns außer der bekannten Notiz in der Kirchenordnung und der Inschrift an der Kirche zu Lauenburg kaum etwas hierüber vorhanden. Sollte es aber nicht möglich sein, doch noch über die Einführung der Reformation hierzulande etwas mehr festzustellen? Ich möchte glauben, daß eine planmäßige Durchforschung unserer Archive, der Publikationen über die Reformationsgeschichte in den Nachbarländern, der Matrikel der Universitäten u. a. m. doch noch einige Nachrichten zu Tage fördern werden." Der Schreiber ahnte nicht, daß bereits 1879 der Archivrat Fr. Gerß in Hannover in der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen aus dem damals noch in Hannover befindlichen Lauenburgischen Archiv die wertvollsten Nachrichten über die Beförderung der Reformation durch Herzog Magnus ans Licht gebracht hatte. Keiner der tüchtigen lauenburgischen Geschichtsschreiber, auch Hellwig und Bertheau nicht, hatten von jener wichtigen, lichtvollen Arbeit Kenntnis erhalten. Von 1879

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bis 1931 blieb diese im lauenburgischen Schrifttum unbeachtet, bis sie sozusagen neu entdeckt werden mußte. Die Quellen, aus denen Gerß schöpfte, waren 4 Jahresbücher des Herzogs Magnus, die vor ihm und nach ihm kein lauenburgischer Geschichtsschreiber, auch Duve und Kobbe nicht, benutzt hat. Nicht berücksichtigt hat Gerß das Kopialbuch des Herzogs, das außer Geldangelegenheiten auch Bestallungen von Pastoren enthält. Übersehen wurde auch bisher das Kopenhagener Reichsarchiv.

Aus der Festschrift zum Reformationsjubiläum - erschienen im Lauenburgischen Heimatverlag (H. H. C. Freystatzky's Buchdruckerei) in Ratzeburg - geht mit Deutlichkeit hervor, daß niemand anders hierzulande dem lauteren Gotteswort und der evangelischen Freiheit Bahn gebrochen hat als Herzog Magnus I.

In dem lauenburgischen Schrifttum ist sein Bild verzerrt. Studiert man nur einmal liebevoll und unvoreingenommen das Porträt, das die Stadt Otterndorf aus Dankbarkeit ihrem Herrscher in ihrem Rathause bewahrt hat, so ergibt sich, daß das Urteil der Historiker, Magnus sei ein roher, gewalttätiger Tyrann gewesen, jedenfalls in dieser scharfen Pointierung nicht paßt. Zwar beobachtet man einen materiellen Zug, aber denselben gleicht das geistige Interesse aus. Zwar überwiegt hohes Selbstbewußtsein, willensstarke Entschlußkraft, aber der Ausdruck der Roheit ist nicht zu bemerken. Wohl spiegelt das Antlitz seinen Humor wieder, aber daß dieser derber gewesen wäre als der Luthers und seiner Zeitgenossen, ist nicht abzulesen. Mag Magnus auch nicht zu den bedeutendsten Köpfen der Reformation auf Fürstenthronen zu rechnen sein, so unbedeutend und unfähig, wie man ihn bislang gegeißelt hat, sieht er auf seinem Bilde jedenfalls nicht aus.

Indessen bestätigt auch die Geschichte mit großer Wahrscheinlichkeit den Befund der Physiognomik. Man muß den Herzog Magnus, der 43 Jahre lang als Zeitgenosse Luthers das Fürstentum Niedersachsen mit Hadeln an der Unterelbe beherrschte, als Kind seiner Zeit verstehen. Er war erfüllt von der Idee der Staatsautorität. Schon sein Vater folgte dem Zuge der Zeit und suchte der Kirche die Gewalt über den Staat zu entwinden. Diese Askanier fühlten sich als Erben des trotzigen Heinrichs des Löwen, der einst den ersten Bischof in Ratzeburg eingesetzt und mit dem nördlichen Polabien belehnt hatte. Als Magnus 1500 die Regierung übernahm, sah er in dem Bischof nichts weiter als seinen Untertan, während er selbst sich als Landesherrn und Patron des Bistums betrachtete. Wohl hatte er zunächst gegen den Bischof als solchen nichts, aber sein absolutistisches Selbstbewußtsein duldete nicht, daß der nördliche Nachbar sich ihm gleich oder gar über ihn stellte. Sein kirchenpolitisches Programm war scharf umrissen: Magnus begehrte einen gefügigen Bischof und ein ebenso gehorsames Domkapitel. Nicht ohne sein Zutun geschah 1504 die Transmutation (Verweltlichung) des Domherrnstifts. Um unter den weltlichen Domherren stets dem Herrscherhause ergebene Organe zu haben, stiftete er damals 6 Kanonikate (geistliche Pfründe) in Stapel, Lauenburg, Seedorf, Berkenthin, Büchen

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und Siebeneichen. Noch sicherer glaubte er sein Kirchenprogramm zu verwirklichen, als 1511, gewiß unter seiner Beförderung, sein Kanzler Heinrich Bergmeyer zum Bischof gewählt wurde. Aber der Herzog hatte sich verrechnet. Der Emporkömmling, der vom Stuben-




Magnus I.
Nach dem Oelbild im Rathaus zu Otterndorf im Lande Hadeln.


heizer zum Bischof aufgestiegen war, war ehrgeizig genug, die Würde des Fürstbischofs zu begehren. Bald stand er ebenbürtig neben dem weltlichen Herrscher. Erbost, daß der ehemalige Stubenheizer des Herzogs sein Programm verdarb, wurde Magnus des Bischofs Feind, so daß er den Entschluß faßte, ihn mit Gewalt in die Schranken zu weisen. Ein halbes Jahr, bevor der Professor in Wittenberg den Kampf mit der römischen Kirche aufnahm, setzte der Herzog den


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Fürstbischof in der Ratzeburger Bischofsherberge gefangen. Nichts beleuchtet mehr seine Kirchenpolitik als der humorvolle Ausruf: "Ick bin nu Biskup." Man kann den Herzog einen Protestanten vor dem Protestantismus nennen. Wie Luther traf auch ihn der Bann und später die Acht, aber seinem kirchenpolitischen Programm blieb er treu. Und so begrüßte er den lutherischen Gedanken von der Aufgabe der Fürsten als Notbischöfe anstelle der an Rom gebundenen Fürstbischöfe. Schon aus Gründen der Staatsraison eilte er der Reformation mit offenen Armen entgegen in der Hoffnung, schließlich das Bistum Ratzeburg seinem Stammlande anzugliedern. Indessen dem Geächteten ist die Frucht seines eisernen Wollens nicht beschieden gewesen. Der ihm überlegene Nachfolger des Bischofs Heinrich der Doppelbischof Georg von Blumenthal, ein gewiegter Diplomat, wußte sich, von Kaiser und Papst geschützt, in seinem Bistum zu behaupten.

Luther schrieb am 10. Juli 1522 an die Gemeinde zu Erfurt: "Es sind viel leichtfertige Leut, die meinen, der Sachen des Evangelii mit dem Schwert und der Faust zu helfen und wollen's wohl ausgerichtet haben, wenn sie Pfaffen oder Münch schmähen oder beschädigen. Sie wissen aber nicht, daß unser Streit nicht wider Fleisch und Blut ficht, sondern wider die Schalkheit in den Lüften (2. Kor. 10, 3,4). Satanas ist ein Geist, der hat weder Fleisch, noch Beine, drum wird man ihm nichts mit Eisen oder mit der Faust tun. Wir müssen ihm die Herzen zuvor abreißen durchs Wort der Wahrheit; das ist unser Schwert und Faust, der niemand widerstehen kann. Sehet, womit ich das Papsttum und geistlich Regiment geschlagen hab, das vorhin aller Welt schrecklich gewesen ist, da man ihm sang: Wer kann mit der Bestie streiten? Denn sie hatte Macht, auch die Heiligen zu bestreiten und überwinden (Offb. 13, 4,7). Noch habe ich nie kein Finger wider sie geregt, und Christus hat sie mit dem Schwert seines Munds tötet (2. Th. 2,8)." Hieraus geht mit erwünschter Klarheit hervor, daß Luther unter Reformation doch noch etwas anderes verstand als die Gewaltigen seiner Zeit. Ihm ging es in erster Linie darum, das reine, biblische Wort Gottes auf den Leuchter zu stellen. Sein Ausgangspunkt war nicht die Politik wie bei den Fürsten, sondern das Gewissen. Nicht die Machtfrage der Landesherrn oder die soziale Frage der Bürger gab ihm den Anstoß, sondern die Gewissensfrage: "Wie kriege ich einen gnädigen Gott?" Hatte er in seinem Turmerlebnis 1513 die Antwort im Wort von der Vergebung der Sünden durch das Christusvertrauen gefunden, so setzte er sich dafür ein, daß zunächst einmal das klare Evangelium ohne dogmatischen Zusatz und papistische Vermischung in deutschen Landen erschalle. Das Wort der Wahrheit erwies sich alsbald als das siegreiche Schwert wider die römische "Wahnheit". Sein neues Testament in deutscher Übersetzung hatte einen Riesenerfolg. Eben war es in Wittenberg gedruckt, als es auch schon auf der geheimen Ketzerpresse in Hamburg, 384 Blätter stark, in Niederdeutsch in neuer Auflage erschien gerade im rechten Augenblick, als von Stade die weißen Mönche, die Luthers Prophetenstimme vernommen, als Evangelisten durch Nordalbingien zogen. Aber der erste
 

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Fürst in unsern Gegenden, der um einen evangelischen Prediger und die niederdeutsche Bibel bat, war der Herzog Magnus. Mochte die Machtpolitik der Anstoß gewesen sein, so bekundete er am Sonntag nach Ostern 1523 ein brennendes Bemerken für das Schwert des Geistes. Wie die Herzöge von Mecklenburg ersuchte er im Mai 1524 Luther selbst um einen Akademiker, der in der niederdeutschen Sprache das Evangelium predigen könne, und 1527 bat er den Führer der evangelischen Fürsten und Stände, Philipp, Landgrafen von Hessen, um einen tüchtigen Pastor. Ihm verdankte es die Stadt Ratzeburg, daß sie schon 1528 in Ludwig Tyde aus Salzwedel einen evangelischen Prädikanten erhielt. Kraftvoll standen ihm der evangelische Kanzler Goekhus, zunächst in der Stadt Lauenburg, dann in Ratzeburg-Dermin wohnhaft, der Marschall Lotze Worm und der Augustinerprior Theodoricus Bodeker zur Seite, der nach seinem Verzicht auf das Priorat im Kuddewörder Kloster einer der "Bannerführer" des Evangeliums in seiner Vaterstadt Hamburg wurde. So kam es denn, daß dem Lauenburger Lande um Johanni 1531 die freie Evangeliumsverkündigung und der rechte Gebrauch der Sakramente verliehen wurde.

Diese entscheidende Stunde der Geschichte konnten die Söhne und Enkel der lauenburgischen Männer, die dies mit erlebt hatten, nicht vergessen. Als etwa 50 Jahre später der Enkel des Herzogs Magnus die lauenburgische Kirchenordnung herausgab, da wurde ausdrücklich verfügt, daß am Sonntag nach Johanni ein lauenburgisches Reformationsfest gefeiert werden sollte zum dankbaren Gedenken an die Gabe des reinen Wortes. An der Kirche zu Lauenburg liest man noch heute: "Anno 1531 die reine Lehr alhier wieder herfür gebracht."

Im Frühling dieses Jahres feierte die Stadt Rostock die Tatsache, daß vor 400 Jahren der Rat der Stadt die evangelische Predigt in allen Kirchen gestattete. Dieses 400jährige Reformationsjubiläum gedieh zu einer die ganze Stadt erfassenden Kundgebung. Die gleiche Tatsache ist's, für die wir in diesem Jahre im Lauenburgischen zu danken haben: die Freigabe der bis dahin römischen Kirchen für die öffentliche Predigt des reinen Gottesworts vor 400 Jahren.

 


 


 

 

 

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