Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1926


DAS HERRENGESCHLECHT DER BERLINGS.

Aus der Chronik einer alten lauenburgischen Familie.
Nach Aufzeichnungen des Kreissyndikus Dr. BERLING-Kölleda
von H. FERD. GERHARD.

I.

Hier liegt wirklich einmal eine alte Chronik vor. Auf vergilbten Blättern geschrieben; im ältesten Teil - so um 1600 - von Franz Gabriel v. Berling in lateinischer Sprache aufgezeichnet; für die Jahre von 1600 bis 1748 in einer Abschrift des von Pastor Schumacher verfaßten und später verbrannten Originals erhalten; für die folgenden hundert Jahre von Pastor Cordes in Pötrau und für die Zeit nach 1835 von Kreissyndikus Dr. Berling bearbeitet. Eine stattliche Sammlung von Namen und Notizen und bewegten Schilderungen. Eine Fülle von Erlebnissen und Menschenschicksalen, die sich immer wieder in die Geschichte unserer Lauenburgischen Heimat verweben. Es lohnt schon, die alten Papiere zu durchblättern und bei einzelnen Abschnitten der Chronik länger zu verweilen.

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Wir tauchen zunächst tief in das Dunkel der Vorzeit ein. Da finden wir in des alten GABRIEL VON BERLING Papieren mancherlei, worüber wir den Kopf schütteln möchten. Da werden Beziehungen geknüpft, die uns zunächst abenteuerlich erscheinen. Und der Zweifel möchte sich immer wieder an uns drängen, wenn wir von der Verwandtschaft zwischen den Berlings und den edelsten deutschen Fürstengeschlechtern lesen. Aber immer wieder springen uns dann seltsame Uebereinstimmuugen in Wappen und Namen in die Augen, und der Zweifel flüchtet für ein Weilchen in den Winkel. Aber mag es mit der Wahrheit dieser alten Zusammenhänge stehen, wie es will. interessant genug ist, was uns der alte GABRIEL VON BERLING, der Hofmeister am Hofe Franz II. von Lauenburg, von seinen Vorfahren erzählt. Wir folgen ihm, ohne uns von unsern Zweifeln beirren zu lassen.

Die Berlings - so berichtet er - sind ein alt-langobardisches Edelingsgeschlecht, das an der Stätte des heutigen Bardowiek seinen Sitz hatte. Als ihren Stammvater sehen sie den sagenhaften Bernigatt oder Hermigatto an, der um 450 lebte und auf den auch das alte lauenburgische Fürstengeschlecht der Askanier seinen Ursprung zurückführte. Zwei Urenkel jenes Bernigatt zogen mit König Alboin nach Ober-Italien und wurden Mitbegründer des mächtigen Langobarden-Reiches. Und einer von ihnen, Berno, wurde der Stammvater des nachmals hochberühmten Geschlechts der Ursinier (ursinus = Bärlein, Bärling), dessen Wappen mit dem der Berlings sich deckt.

Die Askanier - früher Beringer oder Berlinger genannt - und die Bardowieker Berlings blieben damals im Lande. Als aber der große Frankenkönig Karl den Bardengau mit Krieg überzog,

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da unterwarfen sich ihm die Askanier bald. Die Bardowieker jedoch leisteten Widerstand und mußten nach Karls Siege [sic!] landflüchtig werden. Erst nach des Frankenherrschers Tode kehrten die Vertriebenen in ihr Land zurück. Nun aber gewann ihr Geschlecht bald wieder an Macht und Ansehen. Und wenn die Ueberlieferung Recht hat, so ging aus einer Seitenlinie des Hauses Hermann Birling oder Billing hervor, der bekannte Begründer des sächsischen Herzoggeschlechtes der Billunger. Jedenfalls war Stübeckshorn, der Stammsitz der Billnunger, noch nach 1200 in den Händen der Berlings.

Aber wieder stürzte der Berlingsche Trotz das Geschlecht ins Unglück. Berling zettelte 1168 mit den Grafen von Dassel und Aldenburg einen Aufstand gegen Herzog Heinrich den Löwen an. Und wieder mußten die Berlings - Heribert mit seinen 7 Söhnen - nach der Einnahme Bardowieks - in die Verbannung gehen. Im Kreuzzug 1190 fanden sie alle den Tod. Auf Cypern sieht man noch heute Bertholds, des einen Sohnes, Grabmal.

Doch die Zeiten wandelten sich abermals. Die Macht der Welfen sank. Die Hohenstaufen triumphierten. Da zogen die Enkel Heriberts unter Kaiser Friedrich II. in den Bardengau zurück. Sie erhielten einen Teil ihrer Besitzungen und - vom Kaiser aus besonderer Gnade verliehen - ein neues Wappen, das noch heute von den Berlings geführt wird. Fast gleichzeitig - und das gibt am Ende doch zu denken - erhielt auch der Askanier Heinrich der Aeltere von Bernburg ein Wappen, das mit dem Berlingschen ganz merkwürdig übereinstimmt.

Und nun breiteten sich die Berlings aus. Aber sie nahmen vielfach, nach der Sitte jener Zeit, die Namen der Güter an, die sie erwarben. So gehörten die Herren von Meinerssen, von Hohenbuchen, Depenau und Balk alle zu den Berlings. Und damals soll auch ein Berling zuerst ein Schloß im Lauenburgischen besessen haben, und zwar die berühmte und berüchtigte Raubritterburg Linau. Und Ehrenfried Scharffenberg - so heißt es - ein Mitglied des bekannten Raubrittergeschlechts, sei ein Schwiegersohn Marquards von Berling gewesen. 1)

Doch ein drittes Mal lehnte sich Berlingscher Trotz gegen einen Mächtigen auf. Von den Askaniern im Herzogtum Lauenburg unterstützt, machte Harmen Berling 1279 einen Aufstand gegen Otto von Lüneburg, als dieser die letzten Rechte der Edelfreien beseitigen und sich zum Lehnsherrn ihrer Güter machen wollte. Otto gewann nach anfänglichen Niederlagen jedoch schließlich die Oberhand und nahm blutige Rache an den Empörern. Die Berlings zu Hohenbuchen und Depenau wurden restlos ausgetilgt. Die zu Meinerssen, die bislang mehr als 100 Lehen zu vergeben hatten, wurden stark geschwächt. Und die Berlings zu Brelingen (=Berlingen) behielten neben diesem Stammsitz nur noch den einen Hof zu Emmingen. Alle Berlings aber wurden gezwungen, ihre Güter als Lehen aus der Hand der Welfen
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1) Tatsächlich finden sich die Scharffenberg vor Maquard von Berlings Zeit im Lauenburgischen urkundlich nicht, sondern sind damals nur unter der süddeutschen Ritterschaft verzeichnet.

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neu zu empfangen. Ein Aufstand der Berlings zu Berlingerode 2), der offenbar mit dem obigen in Zusammenhang stand, hatte deren völlige Vernichtung zur Folge. Die einzigen Ueberlebenden entgingen nur dadurch dem Tode, daß sie in den Deutschen Orden eintraten.

Den Berlings zu Emmingen und Brelingen gehen aber schließlich auch ihre letzten Güter verloren, als zu Anfang des 16. Jahrhunderts Philip von Berling in der Hildesheimer Stiftsfehde erschlagen wird und seine Brüder Franz Christopher und Otto dafür an den Gegnern blutige Rache nehmen. Otto von Braunschweig bestraft die Brüder furchtbar, indem er ihre beiden Besitzungen von Grund aus zerstören läßt.

Jetzt verlassen die Berlings dieser Linie ihr Stammland, den Bardengau, um nie wieder dahin zurückzukehren. Otto v. Berling nimmt seinen Wohnsitz in Königshofen und den übrigen Besitzungen seiner Gattin und gründet dort die bayrische und katholische Linie der Berlings, die vorwiegend die Schlösser Bertholdsheim, Trugenhofen und den Markt Freyung besaß und 1780 ausstarb. Franz Christopher aber zieht nach vielen Abenteuern nach Lauenburg, wo sein Sohn Jürgen der Stammvater der Witzeezer, Lauenburger, Siebeneichener, Fitzener und Büchener Linien und zugleich auch der dänischen und schwedischen Berlings wird.

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Der Berlingsche Stammbaum, der in der nächsten Nummer der "Lauenburgischen Heimat" veröffentlicht werden wird, zeigt deutlich die Verzweigung. Die Hauptäste tragen die BAUERNVÖGTE IN WITZEEZE UND BÜCHEN. Daneben finden wir aber Berlings als Ratsherren in Lauenburg und als Bürgermeister in Mölln. Ja, es gab Zeiten, wo die Familie mit ihren Schwägerschaften soviel Einfluß im alten Herzogtum hatten, daß der Fürst, wie z. B. in der Stadt Lauenburg, mit energischen Verfügungen gegen die Berlingsche Uebermacht einschreiten mußte.

Wir finden, wie gesagt, die Berlings auch in Fitzen und Siebeneichen, doch sind diese im allgemeinen wenig hervorgetreten. Immerhin verdient erwähnt zu werden, daß die Siebeneichener Berlings, die sich 1617 mit Eggerd Berling von Witzeeze abzweigten (die Fitzener Berlings sind Mitte vorigen Jahrhunderts aus den Siebeneichenern hervorgegangen), 10 Generationen von Bauernvögten stellten und daß Anfang 1700 auch ein Bürgermeister der Stadt Mölln daraus hervorging. Von Siebeneichen ausgehend hat sich übrigens eine heute ziemlich stark verzweigte FALSCHE LINIE DER BERLINGS gebildet, die, eigentlich Perthun heißen sollte, irrtümlich aber Berling genannt wurde und im Laufe der Zeit endgültig diesen Namen behalten hat. Es gehört also nicht alles zu dem alten Geschlecht, was wir heute unter diesem Namen finden.
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2) Alle diese Güter wie Berlinghen (heute Berlingen, ehemals offenbar Berlinghausen), Brelingen (einstmals Brelinghen - Breling - oder Birlingshausen), Berlingerode usw. sind zweifellos Berlingsche Gründungen.

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Besondere Erwähnung verdienen die SCHWEDISCHEN und DÄNISCHEN Zweige des Geschlechtes. Schon im Jahre 1410 nach dem Zusammenbruche des Deutschen Ordens, bei dem sich zu allen Zeiten Berlings finden, war ein Karl von Berling nach Schweden verschlagen, dessen Nachkommen dort zu hohem Ansehen kamen. Ein Olaf v. Berling war Hofrat der Konigin Christine, der Tochter Gustav Adolfs. Und zur Nachkommenschaft Karls v. Berling gehört das bekannte Adelsgeschlecht der Berenkreutz, das bis vor wenigen Dezennien den Namen Berling führte. 1732 ging dann abermals ein Berling, Melchior Christian Berlings aus Witzeeze jüngster Sohn KARL GUSTAV, nach Schweden, der ZU LUND DIE AKADEMISCHE BUCHDRUCKEREI gründete, Hofkamser wurde, und dessen Nachkommenschaft blühte und sich weit verzweigte. Wir finden sie in hohen Offiziers- und Beamtenstellen, und ein Urenkel Karl Gustavs war der Pastor und Kontraktsprobst GÖSTA (Gustav) BERLING, der als Held von Selma Lagerlöfs berühmtem gleichnamigen Roman gilt.

Gleichzeitig mit Karl Gustav zog dessen Bruder ERNST HINRICH nach Dänemark und ließ sich in Kopenhagen nieder, wo er der Begründer dieses heute noch in Dänemark zu den ersten Familien des Landes zählenden Zweiges wurde. Er gründete dort 1738 die Berlingsche Buchdruckerei und 1749 die Berlingske Tidende, die, stets in den Händen der Familie verblieben, noch heute die bedeutendste und angesehenste Zeitung des Landes ist und internationalen Ruf hat. Ernst Hinrich war Hofkamser. Von seinen vielen bedeutenden Nachkommen war wohl der bedeutendste der 1872 zu Ismaila verstorbene Kammerherr und Hofmarschall KARL ERNEST BERLING. Jetzt ist der Zweig im Mannesstamm erloschen, doch wird der Name Berling von des Kammerherrn Urenkel Knut v. Hegermann-Lindencrone unter dem Namen Berling-Hegermann-Lindencrone in Dänemark fortgeführt.

So finden wir in der Familie Berling viel geistige Kraft und viel Unternehmungsgeist. Dabei aber auch, mit außerordentlicher Energie gepaart, nicht selten Abenteuerlust, Starrköpfigkeit oder Uebermut. Aus dieser Mischung aber formte das Leben so viele eigenartige Charaktere und Schicksale, wie man sie wohl nur in wenigen ländlichen Familien unseres Landes wiederfinden wird. Wir wollen versuchen, die Porträts einiger von ihnen, die in Lauenburg ihre Heimat hatten, in einem zweiten Artikel nachzuzeichnen.
 

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