Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1930


Ratzeburger Domgeschichten.

Von FERD. V. NOTZ, Oberst a. D.

1. Das Ohr des Dionys.
 

Der Lauscher an der Wand ist von jeher ein verächtlicher Gesell gewesen. Nichtsdestoweniger ist seine Kunst nicht selten mit ebensoviel Geschick wie Niedertracht geübt worden.

Die mittelalterliche Baugeschichte unserer Dome läßt erkennen, daß die Mönche, die den alten Bauhütten vorstanden, Kenntnisse von den Gesetzen des Schalles besessen haben müssen, um die sie von manch neuzeitlichem Baumeister beneidet werden. Es sei erinnert an die Marienkirche zu Danzig, an die Marienkirche und den Hochschloß-Remter der Marienburg, an die Peterskirche zu Rom; auch an die Wisperecke des Bremer Ratskellers. Im "schreienden" Gegensatze dazu stehen akustisch-verpfuschte Hörsäle aus neuerer Zeit, wie der Sitzungssaal des Herrenhauses zu Berlin.

Auch unser alter Ratzeburger Dom birgt kaum bekannte Eigenheiten und Geheimnisse neben seiner anerkannt trefflichen Akustik.

Zu seinen ältesten Anbauten gehört das kleine Gebäude, welches das Rechteck zwischen der nördlichen Chorkapelle, dem nördlichen Querschiffe und dem großen Ostflügel des Kapitelhauses, dem Dormitorium von 1251, ausfüllt (Siehe

 


 

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"Karzer" auf der Skizze.) Dieser Bauteil muß schon sehr frühe entstanden sein, vielleicht schon mit den ältesten Teilen des Domes, dem Chor. Denn der Kirchendienst bedurfte einer Schatzkammer, einer "Trese", dringend.

Der Bau hat nur zwei Räume. Der untere ist die Sakristei; der darüber liegende birgt das Geheimnis. Cr ist ein langgestrecktes, kasemattenartiges, rundbogiges Tonnengewölbe. Man kann ihn heute nur betreten von der anstoßenden oberen Wohnung des Kapitelhauses, von der in späterer Zeit eine Doppeltür mit Treppe durch die meterdicke Mauer durchgebrochen ist. Das große, vergitterte Fenster ist sicherlich auch erst spät geschaffen, wie die neben ihm befindliche alte, kleine, verblendete Fensternische beweist. Der Raum wurde nämlich zu Zeiten der Domschule als "Karzer" verwendet. "Tempora mutantur" seufzte hier der jugendliche Sünder über seinen Büchern bei Wasser und Brot. Heute füllen den Raum schmackhaftere Dinge. Er ist zur Abwechselung Speisekammer geworden. In ganz alter Zeit aber wird dies feuer-, diebes- und bombensichere Gemach zur Verwahrung der Schätze des Domstiftes sowie der so wertvollen Urkunden gedient haben. Durch Tür und Treppe wird der Raum mit der Kirche in Verbindung gestanden haben. Ein schmaler vermauertes Rundbogen in der Kirchenwand an dieser Stelle läßt diesen Schluß zu.

Hiermit nicht in Übereinstimmung befindet sich nun in der Innenwand des Karzers nach der Kirche zu eine Nische, groß und breit wie eine Tür. Ihre Tiefe von mehr als einem Meter zeugt von der Mächtigkeit des Mauerwerkes.

Die Nische ist das Riesenohr des "Horchers an der Wand"! Von ihr führte ein kleinerer Gehörgang tiefer noch in die Mauer, vielleicht sogar bis in den Dom hinein, wie eine fünfeckige Vermauerung in Kopfhöhe beweist; (siehe Skizze). Die Wand erklingt hohl, wenn man sie beklopft.

Wer sich nun in dem Karzer befindet, vermag deutlich alles mitzuhören, was im Dome vor sich geht. Nicht nur Orgelmusik und Gesang tönen klar durch, die Wand, sondern auch das gesprochene Wort wird ziemlich gut vernommen. Das Hören ist sicherlich noch weit besser gewesen, als jenes Fünfeck noch nicht vermauert und nach der Kirche zu vielleicht nur gegen Sicht verhängt war. In der Tat hat in dem Dome über dieser (stelle Jahrhunderte lang ein mächtiges Epitaph aus Holz gehangen.

Wie läßt sich die seltsame Nische erklären? An einen Zufall glauben wir nicht. Ohne Sinn und Zweck ward in der alten Zeit nichts angelegt. Wer konnte aus solchem "Horchposten" Vorteil ziehen? Gefangene im Karzer, selbst wenn es schuldhafte Mönche und Domherren waren, Pflegte man damals nicht durch artigen Zeitvertreib zu unterhalten, wie etwa den Zuchthäusler heute durch Rundfunk und Jazzbandmusik. Bleibt also die schnöde Absicht.

Es ist verwunderlich, daß über diese Eigentümlichkeit des Domes noch nie etwas verlautet ist. Hat man gar das Geheimnis so strenge gewahrt, daß eS nach Auflösung des alten Domkapitels in Vergessenheit geriet?

Weder Sage noch Dichtung haben sich bisher dieses ebenso heikelen wie dankbaren Stoffes bemächtigt. Vielleicht findet sich hierfür in Zukunft noch die Feder: In der Marienkirche und dem anschließenden Remter des Hochschlosses der Marienburg knüpft sich an die Tatsache einer ähnlichen Schallübertragung mittels zweier Löcher in der Kirchenwand die düstere Geschichte eines verratenen Beichtgeheimnisses, die mit Mord und hochnotpeinlichem Halsgericht endete.

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2. Von Spukgestalten, Gespenstern und der eingemauerten Nonne im Ratzeburger Dom-Kreuzgang.

 

Spukgestalten und Gespenster treiben in Menge ihr Unwesen im Lande rund um den See. Vor dem Don: aber scheuen sie zurück.

"Auf der Schmilauer Heide unfern Ratzeburgs, wo einst eine große Schlacht wider die Wenden ist geliefert worden, läuft ein weißes Pferd immer hin und her." (S. Müllenhof S. 235: die Sage vom Teufelspferde.)

"Am südlichen Ende des Ratzeburger Sees, nahe an der Stelle, wo einst die alte Bischofsburg von Farchau sich erhob, liegt der Düvelsdiek." *)

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*) Bei Farchau sind heute noch die Dammanlagen von 4 oder 5 künstlichen Fischteichen erkennbar.


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"Da ist es nicht geheuer; er ist unergründlich. Geister hausen darin und ziehen Vorübergehende hinein. Man sieht da oft auch Lichter, kleine Flämmchen im Wasser." (S. Müllenhof S. 246.)

"Die Buchholzer Fischer sehen auf dem Ratzeburger See oft bei Nachtzeit Fischerböte und Netze, die sie nicht kennen. Es ist gefährlich, sich heranzuwagen. Denn plötzlich schweben sie herbei, und die Vorwitzigen empfangen Stöße und Schläge." (S. Müllenhof S. 236: Unheimliche Orte.)

"Die Sarauer Fischer sehen manchmal nachts den Drachen ziehn. Das Haus, das der berührt, steht sofort in Flammen. In Pogeez, Saran, Buchholz und Einhaus sind auch in derselben Nacht viele feurigen Drachen in der Luft gesehen worden." (S. Müllenhof S. 206 und 236.)

"Auf dem Plötschensee, eine Stunde von Ratzeburg, erscheint zu Zeiten die Gestalt eines Mönches, der dort ertrunken (ertränkt?) ist, und die eines Mädchens, das auf einer Blume schwebt." (S. Müllenhof S. 236.)

Andere bringen diese Erscheinung mit einer Kreuzgangsage in Verbindung und verlegen sie nach dem Ratzeburger See. Es ist eine gar schauerliche Geschichte:

In der Römnitz drüben stand ehedem ein Nonnenkloster. Im Kapitelhause aber, am Dom, wohnten die Mönche. Beide, Römnitz wie Domhof, waren durch einen unterirdischen Gang miteinander verbunden. Es geschah nun einmal, daß ein Mönch und ein Nönnlein durch diesen Gang in unheiligen Verkehr traten: Die Nonne gebar ein Kindlein. Da ward sie ob dieser fluchwürdigen Tat lebendig im Kreuzgange eingemauert. *) Und der sündhafte Mönch ward den Fischen des Sees zum Fraße vorgeworfen.

Im Kreuzgange, wo die Nonne endete, ward zur ewigen Warnung aller Mägdelein ein Stein errichtet. Der lehnt noch heute dort an der Wand und zeigt das Bild einer Nonne, neben der ein nacktes Kindlein kniet. Und immer noch hört man zur Geisterstunde, zumal wenn die Frühlingsstürme über den See brausen, ein leises Stöhnen und Ächzen, das von dem Nönnlein herrührt, das in seinem Grabe nicht Ruhe finden kann. -

Schade nur, daß an der Geschichte so manches sich nicht reimen will: Ein Nonnenkloster hat es in der Römnitz oder sonst wo in der Nachbarschaft des Domhofes nie gegeben. Und der bewußte Grabstein stellt keine Nonne dar, sondern einen Domherrn in der eigentümlichen Tracht des 16. Jahrhunderts. Im Ratzeburger wie auch im Lübecker Dome finden sich mehrere ganz ähnliche Steinbilder, die gleiche Gestalten und gleiche Kappen zeigen. Deren noch gul lesbare Umschrift weist sie als Domherren aus, während die Schrift bei unserem Kreuzgangstein allerdings fast ganz abgetreten und erloschen ist. Immerhin ist an seinem Kopfende noch zu entziffern: AO 1588 DEN 14.n. IN. STARF.." 1588 gab es weit und breit im Lande keine Nonnen mehr.

Bleibt allein ungedeutet die Gestalt des nackten knienden Kindleins auf dem Stein, das sicherlich zum Entstehen der Sage den Anlaß gegeben Hat. Wegen des Heiligenscheines, den es zu tragen scheint, möchten manche in ihm das Christkindlein erkennen.

Der Domküster erzählt nun aber folgendes, was ihm bereits sein Großvater, der einst desselben Amtes waltete, berichtet hat: Als man zu des Letzteren Zeit das Grab im Kreuzgange öffnete, über dem jener Stein lag, fand man neben den Resten einer Leiche mit langem üppigen Frauenhaar einen winzigen Kinderschädel, oder wenigstens Teile davon, was aber aller sofort zerging, als man es ans Tageslicht brachte.

Andere behaupten wiederum, die Geschichte mit der Nonne könne deswegen unmöglich stimmen, weil der "Böse" weder zum Dom noch zum Domhof Zutritt hatte. Die alten Mönche waren nämlich so schlau gewesen, ihn ein für allemal auszusperren. Das vermochten sie durch das bekannte mystische Geheimzeichen des "Drudenfußes", wie das Volk sagt; die Hochgelahrten nennen es das "Pentagramm". Dies Zeichen wurde in Ziegelsteine eingeritzt, vornehmlich in solche, die über den Tor- und Türbogen vermauert wurden. Das bedeutete für den Gottseibeiuns so viel wie die Warnungstafel des Herrn Amts-

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*) Die Ratzeburger Polizeiordnung Herzogs Franz II von 1582 (s. Chronik von Ratzeburg, Ziff 48, S. 168) schreibt in der Tat für gewisse weibliche Versündigungen folgende Strafe vor: "sie sollen ersäufet oder lebendig übergraben werden."


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Vorstehers: "Eintritt verboten!" Wer das nicht glauben will, lese darüber Goethe nach, welcher Fausten den Teufel angesichts des Zeichens höhnisch befragen läßt: "Das Pentagramma macht Dir Pein?" *)

Immerhin: es hat Zeiten gegeben, in denen es nicht ganz geheuer im Kreuzgange gewesen sein muß. Vor etwa 100 Jahren schrieb der damalige Domprobst in sein Ausgabebuch: "3 Mark jährlich dem Küster für Abschließen des Kreuzganges in der Dämmerung wegen ..." Nun, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. Wenns auch nicht "böse Geister" waren, gut sind sie auch nicht gewesen. Heute ist das natürlich ganz anders.

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*) 1928 sind mehrere solcher mit dem Drudenfuß gezeichnete Ziegelsteine bei Wiederherstellungsarbeiten an Domgebäuden gefunden worden. Sie werden in der Dombücherei aufbewahrt.

 


 


 

 

 

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