Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1930


Ratzeburger Domgeschichten.

Von FERD. V. NOTZ, Oberst a. D .

3. Unterirdisches in Wahrheit und Dichtung.
 

Die Sage umwebt tote Dinge wie alte Gemäuer, ob zerfallen oder nicht, mit üppigen Ranken gleich wie mit immergrünem Efeu und wilden, dornigen Röselein. Des Überirdischen ist sie so mächtig wie des Unterirdischen, wenn's nur recht gruselig ist. Nicht selten ist in dem, was sie durch die Jahrhunderte vom Mund zu Munde trug, was sie ausschmückte oder verzerrte, ein Körnlein Wahrheit. So auch in den Sagen von den unterirdischen Gängen unseres alten Domes.

Der hat schon zu alten Zeiten reiche Schätze aufzuweisen gehabt. Nach denen schielte und lüsterte Begehrlichkeit von jeher. Nicht immer sind Zeit und Möglichkeit vorhanden gewesen, sie vor böslichem Zugriffe in Sicherheit zu bringen, etwa hinter die schützenden starken Mauern Lübecks, wie es in der Tat wiederholt geschehen ist. Ebenso aber wie für die Kleinodien des Kirchenschatzes mußten die Menschen, die zum Dome gehörten, auf ihre eigene Rettung bedacht sein, wenn Gefahr im Verzuge. Das Gotteshaus war keine ECCLESIA MILITANS, keine streitbare Kirche, und das Kapitelhaus keine feste Burg. Zu ihrer Verteidigung gab es nicht Mauern und Gräben, sogar nicht einmal die notwendigsten Waffen. Ihr Schutz war der weltlichen Macht anvertraut, und die war böse! In kaum mehr wie Steinwurfsweite jenseits der Domhofgrenze dräuete die düstere Ratzeburg, das feste Schloß der Lauenburger Herzöge, die sich im Laufe der Zeit nur zu oft dem Stifte unfreundlich und gewalttätig erwiesen haben.

Wie ein hungriger Fuchs lag der Neiding auf der Lauer, der dem reichen Kaninchen nach dem güldenen Fellchen trachtete. Das aber saß auf seiner Dominsel hinter der Schloßinsel gefangen wie in einem Sacke. Darum schuf es sich in seinem Bau, dem Domhof, Notröhren, unterirdische Gänge.

Die Sage dichtet nun den Mönchen in dieser Hinsicht gewaltige Taten an. Unterirdische Gänge sollen von der Dominsel unter der Stadt und dem ganzen Küchensee entlang bis nach Farchau, wo ja anfangs ein Bischofsschloß stand,


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geführt haben; ebenso vom Dom durch den nördlichen Seearm nach der Baek hinüber; und schließlich auch unter dem Ratzeburger Schlosse hindurch nach dem Kloster auf dem St. Georgsberg.

Bei aller Hochachtung vor den mittelalterlichen Meistern, die den Dom schufen, so etwas, wie die Untertunnelung der Elbe bei Hamburg in neuester Zeit, vermochten sie doch nicht.

Immerhin steht folgendes fest: Im tiefen Keller der Dom-Apotheke, an deren Stelle sich schon in früher Zeit eine Kurie, d. i. ein Domherrn-Wohnhaus befand, ist deutlich der vermauerte Eingang eines unterirdischen Ganges erkennbar, der domwärts führte. In dem Keller des Nebenhauses, Domhof Nr. 2, einer alten Kasematte, ist ein vermauerter Zugang, der mit dem gleichen Gange in Verbindung gestanden zu haben scheint. Noch in den 70er Jahren vorigen Jahrhunderts sind Vettern der heutigen Besitzerin, die sich dessen noch wohl erinnert, in den Gang eingedrungen. Schätze haben sie in ihm nicht entdeckt und auch nicht festgestellt, wo er endet. Wegen seiner Gefährlichkeit wurde damals des Ganges Öffnung vermauert.

An fünf oder noch mehr alte Keller des Städtchens und des Domhofes knüpfen sich gleiche Sagen, so an den unter der alten Stadtkaserne, unter der Brauerei *) und unter dem Häuschen zwischen dem Langenbrücker Damm und der Gasanstalt und endlich noch an einen Kasemattenrest im Dom-Apothekengarten.

Dabei ist aber zweierlei zu bedenken: Erstlich mal war Ratzeburg lange Zeit hindurch Festung. Deren Werke wurden sogar noch 1690 nach allen Regeln Vaubanscher Festungsbaukunst aufgeführt und mit bombensicheren, unterirdischen Gewölben, Kasematten, Munitionsdepots versehen. Fest und schön gemauert blieben diese auch dann erhalten, als die Wälle wieder verschwanden und die Festung geschleift, oder wie man in Ratzeburg noch heute weiß, "demoliert" wurde.

Zweitens dürfen aber große alte Keller nicht Wunder nehmen in einer Stadt, die zeitweise bis zu 70 Brauereien zählte, in denen das vielgeliebte Rommeldeus gebrauet wurde, mit dem man schwunghaften Handel trieb.

Kosten verursachende Untersuchungen, ob etwa, wie behauptet wird, jene Keller mit dem Dom in Verbindung stehen, hat aber noch niemand anstellen wollen: auf den sagenhaften Schatz hin, den so mancher dabei erträumt, wird auch schwerlich die Landesbank Kredit bewilligen.

Vom Kapitelhause sind nur Teile des nördlichen Flügels unterkellert. Auch hier geht die Sage von einer unterirdischen Verbindung mit dem Dom.- Den schönsten der Keller hat M's Weinhandlung inne. In dessen hinterster Ecke befindet sich oben in der Wand ein Loch, durch das man ineinblicken kann in einen düsteren, fast ganz verschütteten steinernen Gang. In den hatte sich noch niemand gewagt. Das ist doch aber mal was für Schatzgräber und Forscher!

Eines Tages also - es ist noch nicht so lange her - machen sich zwei daran, diese Geheimnisse zu ergründen. Nach einigen turnerischen Kunststücken, hinweg über die glucksenden Stückfässer, schlängeln sie sich durch die enge Luke, um einer nach dem anderen jenseits der Wand bis zu den Ellbogen in uralten Schutt und Staub hineinzuplumpsen.

Das Knipslicht zwischen den Zähnen, bewaffnet - für alle Fälle - mit Hammer und Brecheisen, krauchen sie auf allen Vieren hinein in den unheimlichen Schlund. An der rechten Seitenwand, hinter der die alten Mönche in längst verschütteten Gräbern des Kreuzganges schlummern, zeigen sich vermauerte Rundbögen.

Nach kurzer Zeit stößt der Gang geradeaus auf eine steinerne Wand, doch nach links führt er weiter, leicht ansteigend. Unter dem Schutte werden Stufen einer schmalen Steintreppe bloßgelegt. Diese führt zu einer ganz altertümlichen vermauerten Rundbogenpforte. Ein Hammerschlag läßt deren Wand dumpf und hohl erdröhnen. Überrascht gucken sich die beiden an. "Hier im Hause", flüstert der eine, "weiß ich doch von Kind an Bescheid; hier hinter liegt keiner der bekannten Keller; das ist ein ganz unbekannter Raum!"

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*) In den Lauenburgischen Heimatblättern erzählte uns Udo v. Rundstedt aus alten Archivakten über die Zeit des siebenjährigen Krieges. Die Kasematten, die er erwähnt,  decken sich mit den eben erwähnten Kellern.

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Der muß also genau untersucht werden. Hammer und Meißel werden angesetzt. Endlich gelingt es, ein Ziegelstück oben in der Wand zu lockern. Erst rieseln, dann prasseln hinter der Wand Mörtel- und Steinbrocken nieder. Ha, was war das? Das klang ja, als fielen sie auf Metall! Die Öffnung wird erweitert, daß man in den Raum hinter der Wand hineinleuchten kann. Das staunende Auge blickt in einen dunkelen, engen, gewölbten Raum, der sicher nicht größer ist als eine Gruft. Hu! eine Grabkammer! Kein Zweifel mehr; die Steine vorhin schlugen auf einen alten Sarg. Durch das erweiterte Loch wird die Hand eingeführt, forschend, tastend. Unterhalb des Loches berührt sie den Rand eines breiten, leeren, steinernen Kruges. Verdächtig, höchst verdächtig! Eine Totenurne? Ein nochmaliger Blick durch das Loch nimmt jetzt an der Wand ein seltsames Gefäß wahr; aus ihm ragen vertrocknete Blumen und Gräser heraus. Grabesschmuck? Aber das Gefäß sieht doch etwas sehr neuzeitlich aus, wie eine Blumenvase. Nun. die mag es auch früher gegeben haben.

Was nun? Der Wissensdurst muß bezähmt werden. Ehe wir die ganze Wand einschlagen, müssen wir zum mindesten die Hohe Obrigkeit befragen.

Leise, vorsichtig, um die Ruhe der Toten nicht weiter zu stören, wird der Rückzug angetreten. Mit einigen Beulen und Schrammen an Kopf und Beinen wird der Ausgang glücklich wieder gewonnen. Wie atmet es sich doch leichter im Sonnenlicht als im Moder verfallener Grüfte!

Just kommt da der Herr Kantor des Weges daher. Der wohnt ja auch hier im Kapitelhause. "Was halten Sie denn von unserer Entdeckung?" Der überlegt nicht lange: "Wo Sie da eingebrochen sind, das kann ich Ihnen genau sagen. Das ist - die Speisekammer meiner Frau! Und der eherne Sarg - das ist nichts anderes als ein alter blechener Kochtopf!" -

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Eine Hohe Obrigkeit belustigte sich dermaßen über diese Geschichte, daß sie sie weitererzählte und dabei ausschmückte wie etwa ein Märlein aus 1001 Nacht. Da drehte Frau Fama, die zungengewandte, stracks den Spieß um: Fortan bis in alle Zukunft, solange es noch Domgeschichten gibt, ist der enttäuschte Forscher, der anstatt in ein güldenes Schatzkästlein mitten hinein greift in den vollen Saurengurken-Topf - die Hohe Obrigkeit selbst!


 


 


 

 

 

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