Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1931



Verloren und wiedergefunden.

Von Pastor FISCHER-HÜBNER.


 

Im Jahre 1889 erschien in den Schriften des Vereins für die Geschichte Lauenburgs ein verdienstvoller Aufsatz des Heimatforschers Professor Hellwig über die Zünfte der Bäcker, Brauer und Tischler in Ratzeburg. In der kunstvollen Lade der "Discher" fand er damals den pergamentenen Freibrief des Tischleramts vom Jahre 1611 mit der eigenhändigen Unterschrift des Herzogs Franz II. Professor Hellwig entzifferte diesen und legte ihn wieder in die Lade, die von dem damaligen Obermeister verwahrt wurde.

Jahre vergingen. Die alte Gilde war nicht mehr. Unbeachtet stand die alte Lade auf dem Boden, eine Ruine, aus der die ehrwürdigen Schriften vergangener Zeiten herauslugten. Kinder spielten auf dem Boden jenes Hauses. Neugierig griffen sie nach dem breiten Pergament und hießen es mitgehen. Nun wanderte der Tischlerfreibrief aus Ratzeburg aus wie die Gesellen, die mindestens zwei Jahre nach der Verordnung des Privilegs wandern mußten. Der Freibrief wanderte mit seinem neuen Besitzer durch die Nordmark.

Inzwischen war die Tischlerzwangsinnung gegründet worden. Die Lade, von jenem Hausboden herabgenommen, wurde wiederhergestellt, und in jeder Morgensprache, als Heiligtum behandelt, ist sie noch heute das Wahrzeichen der Meister. Sie wußten nur nicht, daß das wertvolle Pergament fehlte. In-

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dessen, wie einst der Ratzeburger Tischlersohn nach wechselvollen Wanderjahren heimkehrte, so fand sich der verlorene Freibrief endlich wieder heim. Jahrzehnte lang hatte ihn jener Knabe, längst zum Manne geworden, sorgsam gehütet, als er ihn irgendwo einem Obermeister vorlegte. "Das müssen Sie unbedingt dem Obermeister der Tischler in Ratzeburg aushändigen", war dessen Befehl. So lachte denn heuer im Jahre 1930 der Tag der Heimkehr. Meister Mau legte, tief bewegt, das mehr als 300 Jahre alte Privileg der "Discher" in die Lade. Gott sei Dank; es war verloren, nun aber hat es sich wiedergefunden. Sein Wortlaut ist folgender:

Von Gottes Gnaden Wir Franz von Sachsen Engern und Westphalen, bekunden und bekennen hiemit vor uns und unsere Erben, Nachkommen und allermenniglich:

Nachdem Wir aus tragender hoher Landesfürstlichen Obrigkeit, allewege dahin getrachtet und gesehen, daß durch unsere gnädige Befürderung unsere Untertanen bei ehrlicher christlicher Nahrung und Wohlstände mögen erhalten werden und wir von den Schnitkern oder Dischern in unser Stadt Ratzeburg untertänig ersucht und gebeten, weil nicht allein allerhand Mangel bei denselben vorfiele, sondern auch so wohl fast ein jeder des Amts, so doch dasselbe nicht gelernet, noch erfahren, weniger darauf gewandert, gebrauchte, als durch Fremde ihnen merklicher Abbruch ihrer Nahrung würde zugefüget, do sie doch nebenst andern unsern Bürgern alle Bürden unser Stadt mittragen helfen müssen, daß Wir derwegen nach vorgehabten Rate und wohlbedachtem Mute gnädiglich verwilliget, unter gemelten unsern Untertanen den Schnitkern unser Stadt Ratzeburg EIN AMT ANZURICHTEN und sie mit Amtsgerechtigkeit zu befreien und zu begnadigen, und wie wir sie hiemit und in Kraft dieses, wie solches zu Rechte am kräftigsten und Beständigsten geschehen solle, kann oder mag, wirklich befreien und begnaden folgendermaßen und also:

Zum ERSTEN sollen in dem Amt der Schnitker in unser Stadt nicht mehr denn 6 Personen, das ist 6 Meister, so darin häuslich wohnen, Feuer und Rauch halten, verstattet und zugelassen werden. Und haben zum Anfange um diese unsere Ordnung nachbenannte: DIETERICH BALSEN, LORENZ MENDEN, JOCHIM CLAUS, HENNING CORDESSEN, ARENT REIMPFEN und CHRISTOFF BALSEN für sich und ihre Nachfolger im Discheramt untertäniglich angehalten, und sollen sie schuldig sein, nach Discheramtsgebrauch, wie unter Herkommens, immerwährend sich zu halten, darAN oder -IN kein Abbruch vorgehen zu lassen.

Zum ANDERN sollen oberwähnte sämtliche Meister der Discher oder Schnitker zur Bestätigung ihres Amts auf gemeinen Unkosten eine Amtsköste *) ausrichten, auf welche diese der gemeinen Amtsbrüder Begnadung und Verfassung soll publiziert, verlesen und darüber von ihnen festiglich zu halten angemahnet, wie denn auch bei solcher Zusammenkunft Olderleute aus ihrem Mittel sollen erwählet und Morgensprachsherrn oder BEISITZER VON UNSERM RAT zu Ratzeburg, wie folgt, erbeten werden.

Zum DRITTEN, daß auch solch Amt sich gebührliches Beistandes bei ihrer vorgesagten Obrigkeit, uns und dem Rate daselbst, zu getrosten habe und alles um so viel besser in richtiger Ordnung gehen möge, wollen wir, daß DER JÜNGSTE BÜRGERMEISTER UND JÜNGSTE GERICHTSVERWALTER allewege ihre ordentliche Morgensprachsherren und Beisitzer sein sollen.

Zum VIERTEN soll keiner nach obgesagter Zahl der Meister zum Meister uf- und angenommen werden, er sei denn im Ehestande erzeugt, echt und recht geboren und habe solches mit glaubwürdigen Geburtsbriefen bescheiniget und dargetan.

Zum FÜNFTEN soll er wegen seines Wesens und Wandels, daß er sein Amt redlich ausgelernet, kein Fuscher gewesen, an andern Örtern dem Amte zuwider, keine eigene Feuerstätte und Rauch gehalten und sonsten in seiner Lehrzeit ehrliches Wandels, noch böser Taten berüchtiget, gutes Zeugnis haben.

Zum SECHSTEN, wann jemand das Amt will eschen, **) soll er solches mit acht Schilling tun, aber zum Meister nicht angenommen werden, er habe

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*) Beköstigung.
**) heischen, fordern.
 

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denn zuvor sein Meisterstück, das ist eine Schenkscheibe gemacht, welche von den sämtlichen Meistern besichtiget, und ob selbige unstrafbar, vermittelst Eides erkannt worden. Würde nun dasselbe strafbar erfunden, soll ihme zu der andern Eschung ein Vierteljahr, und wo er alsdann nochmals des Amts unwürdig erkannt, abermal ein Vierteljahr zu der Eschung gegönnet sein, aber nach der dritten Eschung nicht admittieret oder zugelassen werden.

Zum SIEBENDEN: bei der Lehr soll diese gewisse Maß gehalten werden: wer das Amt zu lernen begehret, soll schuldig sein, 3 Jahr lang in der Lehre bei dem Meister zu bleiben, dem Meister zu Lehrgelde 10 Mark zu geben, und wann er solche 3 Jahr lang ausgehalten, von Meister und Gesellen der Lehrjahr freigesprochen werden.

Zum ACHTEN: Wann einer sein Meisterstück gemacht und zum Amt düchtig erkannt, soll er dasselbe mit 15 Mark winnen und dieselbe uf seiner Amtköste / auf welcher zu keinem Mahle mehr als 3 Essen, ohne Butter und Käse, und eine Tonne Rummeldoiß sollen gegeben werden / in der Amtslade einlegen und bezahlen.

Zum NEUNDEN: wenn aber ein Meisterssohn unser Stadt Ratzeburg, so des Amts würdig und zum wenigsten 2 Jahre darauf gewandert hätte, dasselbe eschen und Meister zu werden begehren würde, soll derselbe dem Amte 5 Mark zu winnen und dann 8 Schillinge vor die Eschung geben, sein Meisterstück machen und die Amtsköste, wie obgemeldet, den Amtsbrüdern geben und ausrichten.

Zum ZEHENDEN: Würde sich auch ein ausheimischer Dischergesell mit eines Meisters Witwe oder Tochter verheiraten, soll derselbe, wann er des Amts würdig erkannt, solches allein mit 15 Marken zu winnen verbunden sein, aber die andere Amtsgebühr gleich andern tragen.

Zum ELFTEN: soll kein Amtsbruder den andern in seiner Nahrung bei willkürlicher Amtsstrafe Verhinderung zufügen und in das Verding fallen, ingleichen auch keinen Gesellen abspännig zu machen, noch den gebräuchlichen Lohn ohne des ganzen Amtes Vorwissen verhöhen.

Zum ZWÖLFTEN: ordnen und setzen wir, daß jährlich zweimal im Amt der Discher Generalmorgensprache als uf Ostern und Michaelis werde gehalten, den Amtbrüdern die Amtsgerechtigkeit zu erinnern und fürgefallene Mängel zur Richtigkeit zu bringen.

Zum DREIZEHENDEN: damit auch unsern Untertanen den Dischern zu Ratzeburg ihre Nahrung von Fremden oder Störern nicht entzogen würde, adpropiieren wir ihnen aus Gnaden auch diese Freiheit zu, daß in unser Jurisdiktion und Botmäßigkeit, darunter die Teufelei und Freiheit gemeinet sein soll, auf eine halbe Meile Weges um Ratzeburg keine Discher, so Werkstätten halten und um Geld arbeiten, allhier geduldet und gelitten werden, sondern geben gedachten Dischern hiemit freie Macht, die fremden Dischere als Störer mit Vorwissen unser respective Hanptmanne, Beamten und Rat zu Ratzeburg austreiben und abschaffen, doch sollen diejenigen, welche solche Arbeit machen können, die man im Discheramt nicht machen KANN, noch WILL, hierunter nicht gemeint, sondern exemt sein.

Zum VIERZEHENTEN wollen wir uns und unser Mitbeschriebene gleichermaßen Vorbehalten haben, einen, welcher in dem beschlossenen Amt der siebente sei, nach fürfallender Gelegenheit darein zu setzen: mit der Begnadung und Freiheit, daß er dem Amte nicht mehr, als wann ein Fremder sich mit eines Meisters Tochter oder Witwen verheiratet und des Amts würdig ist, zu geben und zu leisten solle schuldig sein.

Zum FÜNFZEHENDEN: soll das Amt der Discher schuldig sein, unser der Stadt Ratzeburg verfaßten und publizierten Polizeiordnung, soviel ihnen concernieret, zu geleben, auch solang dieses Amt in Stande und Wesen vorpleibet, EINEN GUTEN MESSINGLEUCHTER MIT EINEM WACHSLICHT IN UNSER KIRCHEN ST. PETRI ohne Mangel zu halten.

Bei obgesagten Punkten und Articuln / so wir uns nach Gelegen- und Beschaffenheit zu mindern und zu verbessern expressere servieren / wollen wir und unsere Erben das Amt der Discher fürstlich tuieren und schützen, gestalt wir auch jetzigen und künftigen Haupt- und Amtmannen, auch Bürgermeistern und Ratmannen zu Ratzeburg kraft dieses ernstlich befehlen, über dieser unser

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Verfassung zu jeder Zeit zu halten. Urkundlich haben wir selbige mit eigner Hand unterschrieben und unser Daumsekret vorgedrückt.

Geschehen uf unser Festung Ratzeburg am achtzehnten Novembriis anno eintausend sechshundert und eilf.


FRANZ H. zu Sachsen.
 

Daß die Urkunde echt ist, beweist der MESSINGLEUCHTER der Tischler an der westlichen Empore unserer Stadtkirche. An dem Schilde des Leuchters, den die Meister, dem Fürstlichen Befehle gehorsam, stifteten, liest man: Diderich Balsen. Lorends Mende. Jochim Claus. Henning Cordes. Arnoldus Reimpfen. Christopher Balsen. Anno 1611.

Schon 1581 stiftete das Amt der TUCHMACHER einen Leuchter, als Herzog Franz II. es mit einem Privileg begnadete. Es ist höchstwahrscheinlich derjenige von den 10 noch vorhandenen Lichtarmen, dessen Schild ohne Inschrift ist. 1601 folgte der Leuchter der HÖKER mit der Waage auf dem Wappen und der Inschrift: "Der . Hoeker . Wapen . zu . Rasczeborch . 1601." Nun war ein Bürgermeister der freundliche Geber. Das redende Wappen des Armes läßt eine Roste erkennen. Man liest: "B . Magnus . Rust . hat . disen . Arm . zu . Gottes . Ehr . verehret . Anno 1608." Der Leuchter des TISCHLERamts vom Jahre 1611 zeigt auf dem Wappen Zirkel, Hobel und Stecheisen. Der kürzeste Arm ist wieder eine persönliche Stiftung. Das Wappenbild ist ein springender Fuchs über einer Garbe. "Philip . Cap I . Christus . ist . min . Leben . Sterben . ist . mein . Gewin. Margreta v. Winterfell. S.(eligen) Christofer v. Daldorp Wittewe. Anno Christi 1633", eine wertvolle Inschrift! Es währte viele Jahrzehnte, bis wieder ein Arm hinzukam, auf dessen Schild eingegraben ist: "Dieses . ist . das . BOTZR . AmptsLeuchter . 1701." Nach dem Wappen mit Boot, Segel, Faß zu urteilen, ist an das Böteramt zu denken, dem die Schiffahrt von Ratzeburg nach Lübeck oblag. Schon im folgenden Jahre schmückte eine weitere Gabe die alte St. Petrikirche. Das Wappen mit der Schere verrät das SCHNEIDERAMT. Die Namen der Spender lauten: "H. Christian Warningk . Hinrich Rebeling . Hinrich Klug . Franz Bruwn . Jochim Hinrich Warningk . Bartel Hinrich Bocker . Franz Jules Jungen . Bartel Hinrich Rucker . Niclaus Dehnn . Johann Conrat Grunde . AO . 1705 . Den 16. November." Ein 5 1/4 Pfund schwerer Messingleuchter mit dem redenden Schild (Winkelmaß etc.) bestätigt die urkundlich beglaubigte Stiftung der MAURER. Wir lesen: "Das . Ambt . der . Maurer . und . Steinhauer . Gottfried Lehmann Aeltermann. Andreas Richter Altgesell . Anno 1722." Das Wappen des nächsten Armes mit Band, Spule, Wollrocken verrät die LEINEWEBER mit der Inschrift: "Das . Ampt . der . Leinweber . Leuchter . H. C. Schultz . S . Lembke . V. H. Tonagel. 1739." Diese 9 Leuchter waren schon in der alten, 1787 abgerissenen Kirche, sie fanden glücklicherweise in der neuen an der ersten Empore wieder ihren Platz. Zu ihnen kam als Stiftung bei der Einweihung der Kirche am 1. Advent 1791 der Leuchter der SCHLACHTER, deren Schild einen Stierkopf und das Lamm mit der Siegesfahne, sowie die Inschrift aufweist: "Johann Hinrich Tahtge . Ww. Maria Elisabeth Burmestern . Carl Christoffer Meyer . Georg Daniel Mildner . Johann Hinrich Seeler . Anno 1791."
 

 

 

 



 


 

 

 

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