Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1931


Kandidat Arndt.

Von GUSTAV FR. MEYER, Kiel.
 

Beim Sammeln der "Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg" 1) rechnete Prof. Karl Müllenhoff auf die Mithilfe seiner Landsleute. Sein eifrigster Mitarbeiter wurde der Kandidat Wilhelm Arndt aus Ratzeburg. Mehr als siebenzigmal ist unter den Beiträgen des Buches zu lesen: durch Kandidat Arndt; nach Kandidat Arndts Mitteilung; durch Herrn cand. phil. Arndt; nach Herrn cand. phil. Arndts Mitteilung; nach mündlicher Relation ... wörtlich niedergeschrieben von Herrn cand. phil. Arndt. Neben einer großen Zahl von Aufzeichnungen aus der Umgegend von Schleswig finden sich sechzehn Beiträge aus Lauenburg, 2) neben Märchen wertvolle Sagen in der plattdeutschen Volkssprache jener Zeit.

Es war mir immer unbegreiflich, daß ein für die Volksüberlieferungen begeisterter junger Mensch in späteren Jahren nie wieder von sich hören ließ, bis ich im handschriftlichen Nachlaß Karl Müllenhoffs zwei Briefe von ihm (Schleswig, 7. März 1844 und Lübeck, 28. November 1844) und einen von der Hand seines Vaters (Schlagsdorf b. Ratzeburg, 13. Dezember 1845) vorfand, die mir eine Antwort gaben. Wilhelm Arndt war 1843-44 Hauslehrer beim Amtmann in Schleswig, wirkte von Weihnachten 1844 bis Johannis 1845 in Friedland in Mecklenburg, ging dann nach Reval, wo er bereits am 11. August desselben Jahres gestorben ist. Sein Vater schreibt

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1) Kiel 1845; Neue Ausgabe Schleswig 1921.
2) Marschall Luxemburg (Neue Ausgabe Nr. 86, Anm.); Das Kegelspiel im Ratzeburger Dom (Nr. 88); Die Doppelhufner im Amt Schwarzenbek (Nr. 107); Der Wanderjude (Nr. 250, 1); De Kulengrawer (Nr. 269); Die Windmühlen (Nr. 319); Der Drache (Nr. 326); Die Hexenfahrt (Nr. 340); Das Teufelspferd (Nr. 375, 3); Unheimliche Orte (Nr. 378, 1); Düwelsdiek (Nr. 392); Die Riesen in Krummesse (Nr. 417); Die Untererschen im Köpfelberg (Nr. 446); Die geraubte Frau (Nr. 491); Der Wode (Nr. 577); Vom Bauernsohn, der König ward (Nr. 606); Hans mit de isern Stang (Nr. 609); Dummhans un de grote Ries (Nr. 610); Von dem König von Spanien und
seiner Frau (Nr. 615); Es kommt doch einmal an den Tag (Nr. 645).


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darüber an Prof. Müllenhoff: "Mein Sohn hatte seine Stelle in Friedland zu Joh. d. Js. aufgegeben und ging nach Reval, um dort nach einer einstweiligen Privatanstellung an der Ordnung und Untersuchung des ritterschaftlichen und Stadt-Archivs zu arbeiten, in der Hoffnung, hiedurch sich den Weg zu einer künftigen sichern Anstellung irgendwo in diesem Fach zu bahnen. Er machte seine Reise zur See über Lübeck und Stockholm glücklich, kam in Reval an und begann seine Arbeit. Nach wenig Wochen ward er von der dort herrschenden nervösen Ruhr ergriffen und ist am 11. August in Reval gestorben. Seine und meine Hoffnung für ihn in dieser Welt ist mit ihm selbst am Ostseegestade begraben." In Georg Krüger, Die Pastoren im Fürstentum Ratzeburg seit der Reformation 3) fand ich folgende Nachrichten über ihn: Wilhelm Arndt, geb. 1817 Februar 14., gest. 1845 August 11. zu Reval, wohin er gegangen, um Anstellung bei dem Archiv der Esthnischen Ritterschaft zu erhalten; ältester Sohn von Karl Friedr. Ludw. Arndt, 1813-1839 nacheinander Konrektor, Rektor, Direktor und Professor an der Domschule in Ratzeburg, 1839-1862 Pastor in Schlagsdorf.

Die beiden Briefe Wilhelm Arndts beweisen, wie ernst er seine Sammlerausgabe betrachtete. "Sie können sich auf die vollkommen WÖRTLICHE Treue der plattdeutschen verlassen", schreibt er in dem Briefe aus Schleswig, "mit Ausnahme weniger, die aus dem Gedächtnis niedergeschrieben sind. Bei den hochdeutsch mitgeteilten dürfen Sie keine wörtliche Übersetzung suchen. Es mußte hier natürlich der hochdeutsche Ton der Sage gewählt werden ... Ich hoffe, Sie werden sich mit mir freuen über den Erfolg, den alle Nachforschungen gewähren. Immer mehr stellt es sich aber heraus, daß es die höchste Zeit ist, mit der Sammlung dieser verstreuten Überreste deutscher Mythologie zu eilen". Für Lauenburg ist besonders der Brief aus Lübeck bemerkenswert. "Schon lange, bester Freund", heißt es da, "war es meine Absicht, Sie nach dem Fortgange Ihrer Unternehmung zu fragen, der ich fortwährend lebhaftes Interesse schenke, obwohl ich hier wenig dafür habe thätig sein können. Ich wollte Sie namentlich auf das sächsische Land aufmerksam machen. Kein Land in ganz Norddeutschland ist so sehr von unserer neumodischen Civilisation verschont geblieben als dieses. Die meisten Gegenden zeichnen sich durch eigenthümliche Tracht und alterthümliche Gebräuche aus. Es ist voll von Aberglauben. In Mölln, der Heimath Eulenspiegels, müßten
noch wunderbare Dinge zu erfahren sein. Ich selbst werde Ihnen freilich wenig von Nutzen sein können, da ich nur bis Weihnachten hier bleibe, um dann mein Domicil in Friedland am äußersten Ende von Mecklenburg aufzuschlagen. Indessen habe ich doch an Sie gedacht und vor einigen Wochen einen meiner Freunde, den Rektor A. Vieth in Ratzeburg, der von vielen Lauenburgischen Sagen Kenntniß hat und sie schon in früher Jugend in Poesie und Prosa verarbeitete, gebeten, mir alles, woran er sich erinnert und was er sammeln kann, zuzusenden. Gewiß wird er das thun ... Lauenburg

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3) Schönberg i. Mecklbg. 1899, S . 49; durch freundliche Vermittlung von Herrn Fr. Buddin.


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ist voll von Legenden und historischen Sagen aus dem Mittelalter. 43 Raubburgen zählte man hier zu gleicher Zeit. Die Erinnerungen an diese traurige Lage des Landes kann nicht spurlos vorübergegangen sein. Wollen Sie alles der Art aufnehmen, so wird dessen eine Legion sein. Die Sagen vom heil. Ansverus; jeder Ratzeburgische Bischof hat seine Mirakel und Legendengeschichten, jedes Dorf eine Raub- und Mordgeschichte; die Schwänke vom Eulenspiegel sind lange nicht alle bekannt. An eigentliche Mythen erinnere ich mich nicht. Meine Bekanntschaften in Lauenburg sind so alt, daß ich sie erst erneuern mußte, um daran zu diesem Zweck anzuknüpfen. Darf ich von Ihrem Anerbieten Gebrauch machen, und wollen Sie mir einige Thaler Reisegeld schicken, so will ich gerne einige Tage daran setzen, um ein paar Excursionen auf die Lauenburgischen Dörfer zu machen, denn meine eigenen Verhältnisse (ich lebe von dem Honorar meiner Arbeiten über liefländische Geschichte) erlauben mir nicht, meine Casse zu diesem Zweck anzugreifen."

 

 


 

 

 

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